Exponentielle Prozesse und ihre „Überraschungen“

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Die Meldungen über exponentielle Entwicklungen von Technologien und in der Folge diverser Märkte scheint immer noch viele zu überfordern. Solche Trends sind in Nordamerika und Asien zu beobachten, in Europa nicht.

 

Die US-Digitalkonzerne oder dort beispielsweise Unternehmen wie Nvidia oder Tesla, jüngst die Erfolge der chinesischen Automobilindustrie, globale Ausbauraten von Erneuerbaren – immer wieder lese ich in diversen Foren sehr ähnliche Abwehrreaktionen. Typische Fehler in der Wahrnehmung: Man schaut sich aktuelle Quoten an, ohne die Wachstumstrends zu beachten, greift Daten aus Europa oder Deutschland heraus, um festzustellen, dass „bei uns“ ja nichts zu sehen ist – oder verfällt gleich in alte Narrative, die begründen sollen, warum das entweder nicht verhinderbar ist oder ganz üble Gründe hat.

 

Ein schönes Muster bei allen Entwicklungen aus China besteht darin, die als Kopisten mit billigen Arbeitsplätzen, schlechten Sozial- und Umweltstandards zu bezeichnen. Das ist sogar keineswegs falsch, erklärt aber rein gar nichts mehr, denn dabei werden alle Veränderungstrends einfach nur kurz ausgeblendet. Diese aber sind der entscheidende Treiber und wenn man solche Trends ignoriert, tauchen sie irgendwann in der eigenen Wirklichkeit mit einer Geschwindigkeit auf, die dann angeblich auch noch überraschend ist.

 

Ein Beispiel in drei Charts: Der deutsche Maschinenbau warnte auf der jüngsten Messe der Branche, dass in 2023 vermutlich die Hälfte aller weltweit installierten Roboter alleine in China aufgestellt wird – die Hälfte des Weltmarkts! Dabei weist die Branche darauf hin, dass die chinesische Roboterindustrie inzwischen der stärkste Wettbewerber der Deutschen ist. China installiert also nicht nur die meisten Roboter, sie bauen die inzwischen überwiegend selbst. Wie rasch das ging zeigen die beiden anderen Charts: 2017 war China beim Automatisierungsgrad noch zu vernachlässigen. Bis 2019 hatten sie die Quote aber bereits verdoppelt, 2021 lagen sie auf dem Niveau von Japan und Deutschland, 2023 werden sie uns abhängen.

 

Dieses Land der Kopisten und billigen Arbeitskräfte baut seine Automatisierung mit dem weltweit höchsten Tempo aus – und zwar zunehmend mit eigener Technologie.

 

Wenn man die exponentielle Entwicklung der Digitalisierung und der davon profitierenden US-Giganten betrachtet, sollte man als Deutscher bereits fragen, warum das in einem Land, das sich als Technologiestandort versteht, nicht statt gefunden hat. Da wir nun aber ganz ähnliche Trends in der Industrie, unserer ökonomischen Basis, erkennen, sollten wir endlich damit aufhören, solche ignoranten Beschwichtigungsmethoden fortzusetzen.

 

Das ist die notwendige Standortdebatte, nicht dieses dümmliche Grünen-Bashing mit irgendwelchen Hinweisen auf ein paar abgeschaltete Kernkraftwerke oder der Notwendigkeit von „Technologieoffenheit“, die sich bei Lichte betrachtet dann doch nur als Teil dieser ignoranten Beschwichtigungen heraus stellt. Man muss alle Parteien kritisch fragen, was sie wirtschaftspolitisch dagegen tun wollen – aber dann auch wirklich alle. Dabei darf jeder Kritiker zuerst mal seine eigenen Gedanken prüfen und sich fragen, ob er vielleicht ebenfalls Teil dieser Ignoranz von Veränderungsprozessen ist?

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