Bürokratie und Digitalisierung sind Zwillinge – und eine Frage des Standorts

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR 

 

Dass der Standort Deutschland vor einer sehr schwierigen Entwicklung steht, darf inzwischen als unstrittig gelten. Leider droht als Folge eine politische Schieflage. Was gänzlich fehlt, ist eine Debatte über die Ursachen, die sich gerne in populistischen Angriffen auf die gerade amtierende Regierung erschöpft, weil damit so gut kurzfristige politische Dividende zu machen ist.

 

Wer sich an so etwas beteiligt und nicht erkennt, dass Defizite, wie wir sie festzustellen haben, über Jahrzehnte entstehen, sollte zuerst mal sein ökonomisches Grundverständnis verbessern, bevor er das wirtschafts- oder finanzpolitische Angebote von Politikern bewertet.

 

Seit Jahrzehnten wird in Studien über den Standort zuverlässig ein Punkt immer ganz oben erwähnt: Bürokratie. Je nach aktueller Lage kann das auch mal von einem anderen Problem abgelöst werden, aber mit etwas Abstand darf man es als eines der größten bezeichnen, zumal es bei vielen anderen Themen – Fachkräftemangel beispielsweise – zumindest immer mitspielt, sei es hier die Frage der globalen Rekrutierung von Experten mit allen Themen, die bürokratisch daran hängen.

 

Die Bürokratie hat nun wiederum auch sehr viel mit dem eklatanten Rückstand in der Digitalisierung zu tun. Der trifft auf eine immer dysfunktionalere Verwaltung, die ausgerechnet einen föderal exponentiell wachsenden Dschungel an Regulierung bewältigen soll. Das führt bald zu etwas, was man Lähmung nennen darf.

 

Ausdruck des gesamtstaatlichen Versagens, von Bundesregierungen über die Länder bis in die Kommunen ist das „Onlinezugangsgesetz“, mit dem man mal vorhatte, alle behördlichen Vorgänge „digital“ einreichen zu können. Dieser Krüppel an „Digitalisierung“ ist eine reine Farce, nur Ausdruck von Kompetenz- und Hilflosigkeit, mit der Idee, digitaler Prozesse hat das nichts zu tun.

 

Ein im Detail erläutertes Beispiel macht deutlich, was unser Staat unter „Digitalisierung“ versteht und was er „Fortschritt“ nennt: Bei den Handelsregistern hat man „elektronische Formulare“ geschaffen, mit denen bestimmte Vorgänge elektronisch eingereicht werden können, primär von Notaren. Die weitere Verarbeitung – und deren Dauer, Kosten etc. – sind unverändert. Dabei könnte natürlich der komplette Vorgang eines solchen vollkommen simplen, unterkomplexen Datenregisters rechtssicher vollständig automatisiert werden, wie es in vielen, auch europäischen Ländern längst passiert ist. Aber mehr noch: Die Daten des Handelsregisters plus jährlicher Bilanzdaten sind gesetzlich verpflichtend im sogenannten „Bundesanzeiger“ zu „veröffentlichen“. Diese Aufgabe wurde aber keineswegs mit dem Handelsregister zusammen gelegt, sondern in einem weiteren Register organisiert – und das ist „privatisiert“ worden, dahinter steht heute der DuMont-Verlag. Hier dürfte sogar die Automatisierung sehr hoch sein, denn Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Buchhaltungen von Unternehmen füllen dieses Register – wofür sie bezahlen müssen. Wenn andere diese Daten einsehen wollen, müssen sie dafür ebenfalls bezahlen. Ein tolles Geschäftsmodell für DuMont, ein Vollversagen der Digitalisierung einer staatlichen Aufgabe, die übrigens rein technisch eine geringere Komplexität als jeder kleine Online-Shop bedeutet.

 

Im Ergebnis leisten hier gut bezahlte Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Buchhaltungen in Unternehmen eine digitale Datenzulieferung, für die sie auch noch bezahlen müssen. Hinzu kommen nicht wenige, völlig überflüssige Arbeitsplätze in veralteten Verwaltungsstrukturen. Dieser Apparat kostet inakzeptables Geld und er ist als Gegenleistung dafür: Hinderlich und langsam!

 

Nur ein Beispiel von unzähligen und nicht mal das wichtigste, das darf man als Ärgernis bezeichnen. Ich beschreibe es so ausführlich, um nachvollziehbar zu machen, wie unfassbar dieses Versagen ist. Solche Prozesse könnte sich kein Kiosk leisten, der Staat aber tut es und er lässt sich dafür auch noch mit unerhörten Gebühren bezahlen.

 

Konsequenz ist, dass Bürger und Unternehmen unerträgliche behördliche Verfahren zu durchlaufen haben, die sich zwar „rechtssicher“ nennen, vor allem aber langsam und gewissermaßen „ergebnisoffen“ sind, für die sie nebenbei nicht selten auch noch horrende Gebühren zu zahlen haben, die ökonomisch einfach nur als Schaden zu bezeichnen sind. Wer als Unternehmer in irgendein Projekt investieren will, wartet nicht selten viele Monate, sobald es was mit Bautätigkeit und physischen Anlagen zu tun hat oft mehrere Jahre, bis er erfährt, ob er das überhaupt tun darf. Man muss nicht alles genehmigen, darum geht es gar nicht, der Staat sollte selbstverständlich unerwünschte oder schädliche Aktivitäten unterbinden, das ist seine Aufgabe. Er darf auch „nein“ sagen, aber er hat das gefälligst schnell zu tun. Nichts ist ökonomisch schädlicher, als ein „nein“ nach mehreren Jahren!

 

Über Bürokratie und Digitalisierung wird in Deutschland bereits seit mehr als 20 Jahren geredet und gestritten. Nahezu alle Parteien haben in ihren Wahlprogrammen gerne Besserung versprochen. Im Jahr 2017 hatte sich der Gesetzgeber erstmals dazu verpflichtet, nicht nur darüber zu reden, sondern etwas zu tun: Da ist dieser Krüppel an Gesetz entstanden und den hat die Ampel geerbt. Was momentan passiert, ist typisch für unsere politisch/gesellschaftliche Kultur: Es wird über’s Geld gestritten. Der Etat für diesen Krüppel muss nun geklärt werden, lächerlich wenig Geld für eine Aufgabe, die lächerlich angegangen wird.

Bürokratie und Digitalisierung sind nämlich deshalb gemeinsam zu nennen, weil es hier schlicht um die zugrunde liegenden Prozesse geht. Bürokratie ist per definitionem eine Summe dysfunktionaler Prozesse und das, was sich Digitalisierung nennen darf, fängt nicht damit an, irgendwas bestehendes irgendwie digital anzumalen, es beginnt mit dem Design der Prozesse.

 

Das aber führt zur ebenfalls seit Jahrzehnten unstrittigen Erkenntnis: Dieses Land braucht eine umfassende Verwaltungsreform und die wird ohne eine Föderalismusreform nicht gehen. Bevor das nicht passiert, muss man über die Digitalisierung von Verwaltungen gar nicht reden, sonst wird ein Grundsatz der Digitalisierung nur bestätigt: Wer einen scheiß Prozess digitalisiert, erhält einen scheiß digitalen Prozess.

Wir stehen also vor einem ganz anderen dicken Brett, das Voraussetzung für eine erfolgreiche und diesen Namen verdienende Digitalisierung von Verwaltungen ist: Ein Redesign aller staatlichen Prozesse. Das sind seine Aufgaben, seine Ziele, seine Strukturen und die dies festlegenden Gesetze sowie weiteren Regulierungswerke.

 

So etwas ist ein struktureller Eingriff in die Interessen von Organisationen und die sie repräsentierenden Menschen, das ist ganz schnell Machtkampf pur. In Unternehmen gelingt das oft nicht, die verschwinden dann meist irgendwann in Disruptionen. Die Frage lautet daher: Wollen wir die Disruption unseres Staates?

Wer glaubt, das sei undenkbar, sei belehrt: Im globalen Wettbewerb ist das ein ganz normaler Vorgang. Der kann militärisch erfolgen oder auch ökonomisch, oft haben diese Effekte sogar eine Interdependenz.

Aber die Ampel findet bestimmt noch ein paar Millionen, um diesen Digitalkrüppel weiter zu beatmen.

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