DMZ – POLITIK ¦ Dirk Specht ¦
KOMMENTAR
Die „Meinungsdebatte“ über unsere Strompreise und Stromversorgung wird nicht besser, dabei gibt es genug substanzielle Informationen, um die endlich mal sachlich zu führen.
Das passiert aber nicht. Die Positionen werden erkennbar durch ideologische Vorprägung bestimmt. Mal werden Erneuerbare grundsätzlich abgelehnt, mal Kernkraft, mal die Grünen, mal die Konservativen. So kann man sich im Medienrauschen beliebig zur eigenen Bestätigung bedienen und da das so ist, wird auch fleißig produziert, was gelesen werden will. Hinzu kommen Datenbanken, die stundenweise mal geringen Strom aus Erneuerbaren liefern, was dann von deren Hassern stets gefeiert wird oder es passiert das Gegenteil und die Fans posten prompt Jubelmeldungen, wir bräuchten nichts anderes mehr. Mit Im- und Exporten kann man das genauso machen oder mit den Strompreisen.
Jeder bekommt überall, was er unbedingt haben will, ein Buffet an Information und nicht wenig Desinformation, das letztlich nur Nebel erzeugt, wo Licht möglich wäre. Dazwischen agieren „Experten“, die das aus welchen Geschäftsmodellen auch immer befeuern und den Medien dieses oder jenes Futter liefern, um mal wieder eine Welle loszulassen. Teilweise agieren da sehr kluge Leute, bei denen man nicht versteht, ob sie sich nicht ausreichend in Energiethemen eingearbeitet haben oder bewusst unvollständig oder sogar falsch berichten.
Dazu zwei aktuelle Beispiele: Der Ökonom Daniel Stelter, ohne Zweifel ein kluger Kopf mit in vielen Fragen einer lesenswert kontroversen Meinung, ist in Energiefragen aus meiner Sicht final verirrt oder verwirrt. Er postuliert seit Monaten die leider oft verbreitete These, mehr Angebot an Strom müsse den Preis senken, das sei ja quasi Ökonomie des ersten Semesters. Stimmt übrigens, aber spätestens im zweiten Semester sollte man an einer guten Uni erfahren, dass diese ökonomischen Grundmodelle nur Grundmodelle und keine anwendbaren Methoden zur Erklärung von realen Märkten sind – beim hoch regulierten und technisch komplexen Strommarkt sind wir da noch lange nicht. So erzählt Stelter vom Strommangel, der nicht existiert, vom Atomausstieg, den er nie richtig verstanden hat, behauptet, die letzte Abschaltung habe das Angebot reduziert, was nicht passiert ist und daher müsse man über den Preis reden, der sogar gesunken ist.
Im Handelsblatt hat er nun nachgelegt und das auf seinen SocialMedia-Kanälen ausführlich weiter gedreht. Leider sind ihm dabei viele weitere „Experten“ zur Seite gesprungen, auch durchaus namhafte Leute. Stelter zitiert im Handelsblatt aus einer „Studie“ des US-Unternehmens Radiant Energy, das nach eigener Aussage „Kommunikation“ für „saubere Energien“ leistet und dazu „Studien“ vorlegt, die stets den Einsatz von Kernenergie für dieses Ziel zum Ergebnis haben. Nun kann man sich solche Studien trotzdem – kritisch – ansehen, sie mögen ja nützlich sein. In der von Stelter zitierten haben die US-„Analysten“ eine Berechnung angestellt, wie viel es kosten würde, die noch verfügbaren (?) Kernkraftwerke in Deutschland wieder in Betrieb zu nehmen, für welche Kosten die anschließend Strom liefern könnten und wie wenig das im Vergleich zu Kohlestrom sei. Demnach könnten acht Kernkraftwerke wieder angeworfen werden und die würden für 2,1 Cent pro KWh produzieren, während das bei Kohlekraftwerken sind das demnach 12 Cent.
Nun ist diese „Studie“ ein einziges Schummelwerk, das nicht mal versucht, nur bei den Daten zu fälschen, sondern sogar methodische Fehler aufweist, die man sofort aufdecken kann. So wird bei dem Strompreis der AKWs die erforderliche Instandsetzung von demnach 200 Millionen pro Kraftwerk nicht berücksichtigt, die Anlagen sind irgendwie da und der Preis resultiert nur aus den Betriebskosten. Bei den Kohlekraftwerken wird hingegen auf allgemeine Kostentabellen verwiesen, die übrigens nicht speziell für Deutschland gelten. Hier werden also verkürzte Grenzkosten gegen allgemeine Vollkosten gesetzt. Bei den Daten selbst spannende Quellen, das sind teilweise Daten aus Publikationen, wo man die genannten Werte nicht findet oder schlicht die Angabe man habe mit „Betreibern gesprochen“. Spannend ist, dass diese Betreiber selbst weder solche Daten je heraus gegeben haben oder sich derzeit mit der Idee einer Inbetriebnahme nebst einer Kostenargumentation äußern. Da wissen diese Analysten offensichtlich viel mehr als die Betreiber selbst – wozu Gespräche führen können. Muss man so eine Studie veröffentlichen? Muss das Handelsblatt so etwas zulassen?
Stelter antwortet auf solche Hinweise auf seinem Profil sehr schmallippig, seine Argumentation sei dadurch nicht zu erschüttern, denn auch wenn die Zahlen tatsächlich anders seien – was er also selbst wohl zumindest nicht ausschließen will – sei ein Industriestrompreis mit 30 Milliarden auf jeden Fall teurer. Er zitiert das auch die Wirtschaftsweise Grimm, die von dem Industriestrompreis auch nichts halt – und diese wiederum assistiert ihm bei seinen Auftritten in den sozialen Medien. Man kennt sich, man hilft sich. Nun will ich klar stellen, dass ich von diesem Teil des Industriestrompreises, also der Preissubvention für selektive Unternehmen, auch nichts halte. Aber hier ist die Rechnung von Stelter bereits methodisch schief, denn das eine wäre eine einmalige Subvention für die Inbetriebnahme von Kraftwerken von 2 Milliarden, das zweite eine für bis zu zehn Jahre budgetierte Subvention für produzierende Industriebetriebe. Geldfluss und Empfänger sind also sehr unterschiedlich, das darf man schon betrachten, wenn man das denn vergleichen will.
Nun habe ich hier auch wieder viele Zeilen aufgewendet, um etwas zurecht zu rücken, was ohnehin kompletter Blödsinn ist. Daran sieht man, wie aufwendig es ist, steile These zu widerlegen. Da muss man zuerst mal die These selbst bewerten, was bis hier passiert und leider auch nicht verzichtbar ist. Der wesentliche Punkt ist aber ein ganz anderer: Stelter behauptet, damit einen Beitrag für einen günstigeren Strompreis vorzuschlagen – und das ist falsch. Er zeigt erneut, dass er vom Stromsystem und dem Marktdesign nichts versteht. Dass Grimm ihm dabei wieder assistiert, irritiert sehr. Weiß die es auch nicht besser oder will sie stereotyp, so auch hier, ihre H2-Agenda platzieren. Dazu kommen von ihr tatsächlich wieder Hinweise, die man gedanklich nur schwer nachvollziehen kann. Vom angeblichen Strommangel zur H2-Notwendigkeit – faszinierend.
Wie dem auch sei: Kernkraft hat in unserem Stromsystem keinen Preiseffekt, fossile Kraftwerke setzen den Preis, derzeit die Gaskraftwerke und gerade die können durch Kernkraft nicht substituiert werden. Es gibt auch kein Defizit an Strom, wir haben genug Angebot an Kraftwerkskapazität, daran fehlt es nicht, auch wenn das noch so oft behauptet wird. Wir brauchen aber unter diesen Kraftwerken aus technisch nicht anders möglichen Gründen täglich immer wieder die Gaskraftwerke – und keine anderen. Die setzen daher die Preise, daran ändern Stelters Ideen nichts.
Womit er recht hat und das will von der „anderen Seite“ selten jemand hören: Kernkraftwerke können insbesondere Braunkohlekraftwerke substituieren, also bei der CO2-Bilanz helfen. Aber das ist teuer, denn die Braunkohle aus eigener Förderung ist von den Kosten der Anlagen bis zum Brennstoff unter den konventionellen Kraftwerken die günstigste Erzeugungsform. Genau hier wird übrigens die Logik der Energiepolitik von Union und SPD klar: Man hat den vorzeitigen Ausstieg aus der Kernenergie dem aus der Braunkohle vorgezogen. Das ist politisch opportun gewesen und zudem auch noch billig – was übrigens vor allem den Gewinnen der Energieerzeuger gut tut, über den Strompreis reden wir da immer noch nicht. Der vorzeitige Ausstieg war daher aus meiner persönlichen Sicht eine ökologische Sünde, die politisch und ökonomisch aber sehr logisch ist. Dass man die Sache jetzt noch zurück drehen kann oder sollte, bezweifle ich, kann das aber nicht bewerten. Diese Analyse hilft dabei nicht, Stelter weiß es auch nicht, sonst würde er so ein Pamphlet nicht dafür nutzen. Und mit dem Strompeis hätte das dann immer noch nichts zu tun, mit der CO2-Bilanz hingegen schon.
Zum Strompreis und der Machbarkeit unserer Energiewende ist hingegen ein wesentlich substanziellerer Beitrag erschienen, der leider unter dem Radar bleibt. Warum nur? Kein anderer als einer der größten Netzbetreiber, 50Herz, dessen Chef übrigens ein FDP-Mann ist, hat das in einem Interview mit der NOZ sehr nüchtern beschrieben – und 50Herz, das sei klar dazu gesagt, redet nicht über die Energiewende, sie setzen sie um bzw. sitzen auf einer der größten Infrastrukturen, wo genau das jeden Tag messbar stattfindet. Das ist ein Bericht aus dem Maschinenraum, wir bräuchten mehr davon. Der Bericht, siehe unten, sei sehr empfohlen, hier wird komplett nüchtern über Preise, Machbarkeiten, Dunkelflauten und Importe gesprochen.
Ein faszinierendes Bild unserer Medien ergibt sich aber auch hier: Im Original relativiert der 50Herz-Chef die Bedeutung von Importen insgesamt und er spricht dabei vor allem von Erneuerbaren aus Skandinavien und Dänemark, die bereits heute unsere Importe dominieren. Er erwähnt aber auch vollkommen ohne Ideologie und zurecht die französischen Kernkraftwerke. Diese Zitat wird hingegen vom DLF komplett aus dem Kontext genommen und separat herausgestellt.
Es ist und bleibt einfach nur übel, diesen Mist dauern auseinandernehmen zu müssen!
Ausflugstipps
Unterstützung
Damit wir unabhängig bleiben, Partei für Vergessene ergreifen und für soziale Gerechtigkeit kämpfen können, brauchen wir Sie.
Rezepte
Persönlich - Interviews
Kommentar schreiben