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Bei den Freihandelsabkommen gibt es trotz der wachsenden Bedeutung keinen Fortschritt

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR

 

Ein wenig Lesestoff zu geostrategischen und geoökonomischen Themen. Während China sich momentan insbesondere im Industriesektor exponentiell entwickelt und die USA mit Handelskriegen sowie dem IRA reagieren, suchen die Europäer eine „China-Strategie“, da sie sogar noch viel direkter von der chinesischen Strategie betroffen sind. Zugleich sollte die Präsidentschaft von Trump und die übrigens unter Biden auch kaum geringere Strategie „America first“ die Europäer mahnen, mehr Eigenständigkeit zu entwickeln.

 

Der von den meisten Ökonomen empfohlene Weg ist der Abschluss von mehr Freihandelsabkommen. Das aber scheitert seit Jahrzehnten, übrigens ein berechtigter Frust auch der Briten. Nicht vergessen sollten wir die Versuche, mit den USA bzw. den Nordamerikanern ein solches Abkommen zu erreichen. Auch mit Kanada scheiterte es. Nun laufen parallel enorm wichtige Gespräche mit den Südamerikanern und mit Australien. Die laufen teilweise bereits seit 20 Jahren – ohne Erfolg und es sieht trotz der deutlich gestiegenen Bedeutung immer schlechter aus.

 

Natürlich gehören zu festgefahren Gesprächen immer beide Seiten oder in diesen Fällen genauer gesagt ganz viele, denn da reden Organisationen miteinander, die von vielen Staaten getragen werden und ihre inneren „Spielregeln“ mitbringen. Was die Europäer hier aber an Dysfunktionalität zeigen, geht so nicht weiter. Man kann immer über die andere Seite klagen, aber aufräumen kann man zunächst mal nur die eigene. Der Frust der Briten ist in vielen Punkten erklärbar, zugleich zeigt der Brexit aber, dass ein Zerfall Europas in global inzwischen vollkommen irrelevante Einzelstaaten keine Option ist.

 

Die beigefügten Beiträge kritisieren bevorzugt die grüne Umwelt- und Klimapolitik als Ursache für die unflexible Verhandlungsposition der Europäer. Diese Kritik ist berechtigt, darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass wir in den letzten Jahrzehnten auf EU-Ebene alle möglichen anderen Einzelinteressen gesehen haben, die uns teilweise komplett lähmen können. Aktuell ist das beispielsweise die Landwirtschaft und hier ganz besonders die Fleischindustrie, wenn ich diesen unschönen Begriff mal nutzen darf. Wer (auch) daraus nun wieder ein parteipolitisches Thema macht, um sich mit anti-irgendwas gedanklich zu verabschieden, irrt fundamental, denn es ist ein systemisches Problem, kein grünes, schwarzes oder gelbes.

 

So geht das nicht weiter. In der europäischen und auch der nationalen Politik hat sich eine Kultur der Durchsetzung von Interessen etabliert. Das verstehen viele jetzt sogar als wesentliche Eigenschaft von Demokratie. Demnach ist es legitim, dass jeder stumpf seine eigenen Interessen verfolgt und die Aufgabe von Politik liegt darin, dazwischen die besten Deals zu finden. Genau diese Denkweise fördert natürlich Regierungen, die am besten die Interessen verwalten und die Kompromisse oder jeweiligen Vorteile am geschicktesten verteilen.

 

Bei der Systematik der EU ist es dann sonnenklar, dass notfalls Leute, die sagen, der Regenwald müsse erhalten bleiben – was richtig ist – und daher müsse man Brasilien zwingen, die Abholzung einzustellen – was nicht funktioniert – ebenso ein in der Gesamtheit viel breiteres Unterfangen wie ein Freihandelsabkommen blockieren können, wie österreichische Fleischbauern, die keine Lust auf Konkurrenz aus Australien oder Argentinien haben. Beide, um das zu wiederholen, leider nur Beispiele und eben nicht die Ursache, die tief im System begraben ist.

 

Wir müssen nämlich offensichtlich fundamental prüfen, was demokratische Entscheidungsprozesse sind, wie Demokratien Ziele definieren und Regierungen mandatieren können, diese strategisch klug umzusetzen.

 

Mit der Systematik erreichen wir gar nichts, Europa ist fortgesetzt auf dem Weg der Marginalisierung. Das begann mit Weltkriegen und seitdem werden wir immer dysfunktionaler, weil Einzelgedanken über die kompromisslose Abschaltung der Abholzung oder der eigenen Rinder auf den Wiesen in den Alpen oder Nordfrankreichs alles blockieren können.

 

Ein System, das glaubt, alle Interessen bedienen zu können, wird letztlich niemandem mehr dienlich sein.

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