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Straumanns Fokus am Wochenende - Happy Birthday

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦                    

KOMMENTAR

 

Die «Doomsday-Clock», die Weltuntergangsuhr, ist vom «Bulletin der Atomic Scientists» neu justiert worden. Bei den Atomwissenschaftlern handelt es sich um eine Vereinigung von Fachleuten, der zurzeit 17 Nobelpreisträger angehören. In diesem Gremium sind so viele hochqualifizierte Charakterköpfe unter sich, dass wir ihre Risikoeinschätzung ernst nehmen sollten. Nach ihrer neuesten, diese Woche vorgenommenen Einschätzung steht die Uhr auf 90 Sekunden vor zwölf. So nah am Abgrund waren wir noch nie.

 

Es wäre die Aufgabe der Politiker, auf die Wissenschaftler zu hören. Es wäre die Aufgabe der Medien, deren Warnung in die Welt zu posaunen, um die Menschen aus dem Schlaf zu schrecken. Aber nichts dergleichen geschieht. Wer diese Woche in die Welt der westlichen Mainstream-Medien hineingeschaut hat, stellte fest: Freue herrscht. Keine Panik auf der Titanic. Wir dampfen mit voller Kraft auf den Eisberg zu.

 

Der gegenwärtige Frohsinn so gut wie aller westlichen Politiker und der mit ihnen verbundenen Medienwelt erklärt sich aus einem Umstand: Olaf Scholz, deutscher Bundeskanzler, hat sich endlich weichklopfen lassen und seine Zustimmung zur Lieferung von 14 Leopard-2-Panzern an die Ukraine gegeben. Der einzige Fleck im Reinheft, der Scholz jetzt noch die Kritik der Leitartikler einträgt, besteht darin, dass er so lange gerungen hat mit seinem Entscheid. Scholz wollte den Alleingang um jeden Preis vermeiden. Jetzt ist es ihm offenbar gelungen, die Amerikaner mit ins Boot zu holen, die ihrerseits 31 Abrams-Panzer liefern wollen. Darüber hinaus ist auch eine ganze Reihe weiterer Partner bereit, sich auf die Panzer-Koalition einzulassen. Die NZZ hat alles säuberlich aufsummiert, kommt auf 103 Stück und tut so, als sollten wir uns darüber freuen.

 

Worüber? «Der Kampfpanzer ist eine hochmoderne Angriffswaffe», schreibt die NZZ am 25. Januar. Am 26. doppelt sie nach: «Moderne westliche Kampfpanzer sind geradezu das Sinnbild für die Befähigung der Ukraine, aus der Defensive herauszufinden und zu Offensivaktionen überzugehen.» Irgendwelche Fragen? Nö. Denn «wenn der politische Wille und Geld da ist, ist die Industrie auch fähig, Kapazitäten zu erweitern.» Insofern sehen wir kein Problem. «Die Ukrainer wissen nun, dass sie mit ihren verbleibenden Beständen an Sowjetpanzern nicht mehr ganz so haushälterisch umgehen müssen.» Umso besser! Ballern wir munter drauf los. Der Nachschub ist ja gesichert, wenn der politische Wille und das Geld da sind. Dass die nicht mehr zum Knausern mit Panzern und Munition genötigten Ukrainer mit jedem ihrer Schlachtfahrzeuge eine Besatzung von mindestens fünf jungen Männern verlieren, ist offenbar quantité négligeable. Mal schauen, wie lange der Nachschub gesichert ist.

 

Während fast die Hälfte aller Deutschen (die öffentliche Meinung) gegen die Lieferung der Kampfpanzer war, tun die Medien (die veröffentlichte Meinung) so, als wäre alles Krieg, Freude, Eierkuchen. Als Mensch mit gesundem Verstand muss man sich fragen: Sind denn diese Chefredaktoren noch bei Trost? Was geht durch den Kopf eines Eric Gujer bei der NZZ, eines Vorformulierers der FAZ, der Süddeutschen, des Tages-Anzeigers? Was findet in den Gewissen der Intendanten der Öffentlich-Rechtlichen aller NATO-Staaten statt, von den USA bis ins Baltikum? Wo sind die Stimmen der Besonnenheit, der Mässigung? Merken die denn nicht, dass wir im Begriff sind, von einer Unterstützung der Ukraine mit defensivem Waffenmaterial überzugehen in eine Phase des Angriffskriegs?

 

Doch, selbstverständlich merken sie das. Aber statt dass ihnen dies Nachdenklichkeit und Reflexion abnötigen würde, frohlocken sie. Eingebunden in komplexe transatlantische Netzwerke (Council for Foreign Relations, Atlantik-Brücke, Bilderberg-Meetings, New American Century etc.) sind sie gleichgeschaltet mit amerikanischen Interessen und tun so, als seien unsere europäischen Interessen mit jenen identisch.

Nichts ist falscher als das. Russland in die Knie zwingen zu wollen, ist eine kurzfristige militärische Sichtweise, die sich mittelfristig rächen würde, selbst wenn sie gelänge. Zu vernachlässigen, dass Russland die Welt mit sich in den Abgrund reissen kann, ist sträflich. Zu verdrängen, dass es ein Russland nach Putin geben, das auf Revanche sinnen wird, ist unbegreiflich. Zu vergessen, dass Russland seine Kriege mit der Unerschöpflichkeit seiner Regimenter bestreitet und dabei über einen sehr langen Atem verfügt, ist ignorant. Was wir brauchen, sind Verhandlungen, nicht Kampfpanzer.

 

Unterdessen schreitet die Eskalation voran. Andrij Melnyk, als Botschafter der Ukraine aus Berlin abgezogen, weil er zu aggressiv war, mittlerweile aber zum Vize-Aussenminister aufgestiegen, fordert bereits nach der Panzer- jetzt schon die Kampfjet-Koalition. Scholz dementiert heftig – so, wie er es bei den Kampfpanzern auch einmal getan hat. Es «müsse alles getan werden, um eine Eskalation hin zu einem Krieg zwischen der NATO und Russland zu vermeiden», zitiert ihn die NZZ. Exakt gleichzeitig bekennt seine Aussenministerin Annalena Baebock vor dem Europarat in Strassburg, «die westlichen Partner führen Krieg gegen Russland». Es wäre zum Lachen, wenn es nicht zum Weinen wäre.

 

Andreas Rüesch, Inhaber der Deutungshoheit in Sachen Ukraine-Krieg bei der NZZ, schreibt derweil: «Passend zum 45. Geburtstag von Präsident Selenski erhält das Land völlig neue Mittel für den Kampf gegen die russischen Besatzer». Wir wünschen eine frohe Party. Sie findet statt bei den Shareholdern der Waffenindustrie. Happy Birthday!

 

 

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Seit 2020 finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in der «DMZ» Woche für Woche einen Kommentar von Dr. Reinhard Straumann. Mal betrifft es Corona, mal die amerikanische Aussen-, mal die schweizerische Innenpolitik, mal die Welt der Medien… Immer bemüht sich Straumann, zu den aktuellen Geschehnissen Hintergründe zu liefern, die in den kommerziellen Medien des Mainstream nicht genannt werden, oder mit Querverweisen in die Literatur und Philosophie neue Einblicke zu schaffen. Als ausgebildeter Historiker ist Dr. Reinhard Straumann dafür bestens kompetent, und als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen eingesetzt. Wir freuen uns jetzt, jeweils zum Wochenende Reinhard Straumann an dieser Stelle künftig unter dem Titel «Straumanns Fokus am Wochenende» in der DMZ Mittelländischen Zeitung einen festen Platz einzuräumen.  


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