DMZ – POLITIK ¦ Dirk Specht ¦
KOMMENTAR
Er ist eine Mahnung für all jene, die glauben, libertäre Konzepte hätten irgendeinen Wert oder gar eine bessere Stabilität als wie auch immer staatlich regulierte. Wir sollten besser über Sinn, Umfang, Wirkung und sicher auch Grenzen (Madoff & Co) von Regulierung streiten, aber besser nicht über ihre Abwesenheit.
John Jay Ray, derzeit mit der Abwicklung von FTX beauftragt, hatte zuvor keine geringeren Mandate als Enron, Nortel und einige weitere der größten Unternehmenspleiten. Die NYT berichtet in zwei Beiträgen zur aktuellen Entwicklung, die ich auszugsweise zusammenfasse.
In einer scharfen Gerichtsakte vom Donnerstag beschrieb Ray ein erstaunliches Ausmaß an Unordnung und sagte, er habe noch nie ein „so vollständiges Versagen der Unternehmenskontrolle“ gesehen. Er zählte eine Reihe „inakzeptabler Managementpraktiken“ auf, darunter die Verwendung einer ungesicherten Gruppen-E-Mail für den Zugang zu sensiblen Daten, und sagte, die von FTX verwalteten Finanzinformationen seien zutiefst unglaubwürdig.
„Angefangen von der beeinträchtigten Systemintegrität und der mangelhaften behördlichen Aufsicht im Ausland bis hin zur Konzentration der Kontrolle in den Händen einer sehr kleinen Gruppe unerfahrener, unbedarfter und potenziell schuldiger Personen ist diese Situation beispiellos“, schrieb er in der Einreichung beim US-Konkursgericht für den Bezirk Delaware. Er sei dabei mit kriminellen Machenschaften, mit neuartigen Finanzstrukturen und mit der Herausforderung konfrontiert worden, Vermögenswerte über Grenzen hinweg sicherzustellen. Nichts sei vergleichbar mit diesem Fall.
Unklar ist sogar, über welche Geldbestände die FTX-Gruppe noch verfügt. Sie unterhielt kein zentralisiertes Cash-Management, es wurde nicht mal eine brauchbare Liste der Bankkonten gefunden. Auch wer in den Unternehmen beschäftigt war oder sonst tätig wurde, konnte nicht festgestellt werden. Zahlungen wurden über eine interne Chatplattform beantragt, die von einer undefinierten Gruppe von Vorgesetzten mit personalisierten Emojis genehmigt wurden. Offenbar sind dadurch auf den Bahamas, wo der CEO Bankman-Fried der Gruppe lebt, Häuser und andere privat genutzte Vermögenswerte für Mitarbeiter und Berater gekauft worden. Für einige dieser Transaktionen gibt es keine Dokumentation, die erworbenen Vermögenswerte sind jedoch auf die Namen der Beschäftigten amtlich registriert.
Der Kern des Unternehmens, die Verwaltung von Kryptobeständen, ist vollkommen unangemessen organisiert worden. Es fehle eine adäquate Buchführung, über ein ungesichertes Gruppen-E-Mail-Konto konnte man sich den Zugang zu Zugangsschlüsseln und Daten verschaffen, es wurde sogar eine Software verwendet, um den Missbrauch von Kundenkonten zu verschleiern. Folglich haben die Prüfer bisher nur einen Bruchteil der digitalen Vermögenswerte sichergestellt, die sie eigentlich erwartet hatten. Der CEO kommunizierte bevorzugt über Apps, die die Nachrichten nach einiger Zeit löschen und er empfahl seinen Beschäftigten, das genauso zu machen. Nun versucht Bankman-Fried, das komplette Verfahren auf die Bahamas zu ziehen, „fuck regulators“ wird er zitiert.
Seine Investoren, die ihm mehrere Milliarden anvertrauten, reagieren überwiegend schmallippig. Nur sehr wenige Investoren sind öffentlich selbstkritisch über ihre Fehlschläge. Sequoia Capital, die traditionsreiche VC-Firma aus dem Silicon Valley, die ihre 120-Millionen-Dollar-Investition in FTX auf Null abschreiben musste, verteidigte ihre Due-Diligence-Prüfung – selbst nachdem sie einen schwärmerischen Brief über Bankman-Frieds „großartigen“ Intellekt gelöscht hatte, als sein Unternehmen implodierte.
Ein Wort der Anerkennung für Marcelo Claure, den ehemaligen SoftBank-Manager, der die Investition des japanischen Technologiekonglomerats in FTX geleitet hat. „Ich habe persönlich über das ganze FTX-Fiasko nachgedacht und es hat mich einmal mehr gelehrt, dass wir NIEMALS aufgrund von FOMO investieren sollten und dass wir immer zu 100% verstehen sollten, in was wir investieren. Ich habe in beiden Punkten total versagt“, twitterte er am Wochenende.
Wer sich im Börsenjargon nicht auskennt: FOMO steht für die Angst, Gewinne zu verpassen. Gehört zu kognitiven Dissonanzen, über die ich kürzlich hier etwas geschrieben hatte. Aus meiner Sicht ist ein Großteil libertären Gedankenguts mit diesem Begriff sehr eng verbunden.
Hier die beiden Beiträge freigeschaltet:
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