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Schicht für Schicht: Wie das Internet wirklich funktioniert – Eine Reise durch das OSI-Modell

DMZ - DIGITAL ¦ Matthias Walter

Wer im digitalen Zeitalter eine Website besucht, eine E-Mail verschickt oder einen Livestream genießt, ahnt kaum, was im Hintergrund geschieht. Denn was so einfach scheint, basiert auf einem fein abgestimmten architektonischen Meisterwerk: dem OSI-Modell (Open Systems Interconnection). Es ist das theoretische Rückgrat moderner Netzwerke und beschreibt in sieben abstrahierten Schichten, wie Daten vom Anwender bis zur Hardware – und wieder zurück – transportiert werden.

 

Schicht 7: Die Application Layer – Wo der Mensch das Netz berührt

Ganz oben sitzt die Application Layer, dort, wo sich Technik und Mensch die Hand reichen. Hier arbeiten Protokolle wie HTTPS (Port 443 – sicheres Webprotokoll), FTP (File Transfer), SMTP (Simple Mail Transfer) oder NNTP (Network News Transfer) – jene Dienste, die Inhalte bereitstellen, abrufen, versenden. Ob beim Abrufen einer Website oder dem Versand einer E-Mail: Hier entstehen die Daten, die danach in eine lange Reise durch die darunterliegenden Schichten geschickt werden. Auch DNS (Domain Name System – Namensauflösung einer Website in die entsprechende IP-Adresse, da der Rechner im Grunde nur die Binärsprache versteht; die IP-Adresse wird in 1en und 0en übersetzt) und DHCP (für automatische IP-Zuweisung) spielen in dieser Schicht ihre tragende Rolle – gewissermaßen als freundliche Türsteher der digitalen Welt.

 

Schicht 6: Die Presentation Layer – Die Babel-Funktion des Internets

Die Präsentationsschicht ist ein unsichtbarer Übersetzer. Hier werden Daten, die möglicherweise in systemspezifischen Formaten (z. B. bei verschiedenen Betriebssystemen) vorliegen, in ein plattformunabhängiges Format überführt – und umgekehrt. Ohne diese Ebene würde ein Dokument, das auf einem Mac erstellt wurde, auf einem Windows-PC möglicherweise nur kryptische Zeichen anzeigen. Auch Verschlüsselung und Komprimierung finden hier statt. Dass HTTPS auch hier auftaucht, zeigt: Ein Protokoll kann auf mehreren Schichten wirken – wie ein Schauspieler in wechselnden Rollen.

 

Schicht 5: Die Session Layer – Der Taktgeber der Kommunikation

Die Sitzungsschicht sorgt für Ordnung im Datenfluss – sie verwaltet Verbindungen zwischen Systemen, eröffnet und beendet sie und regelt, wer wann sprechen darf. Das ist vor allem in Dialog-orientierten Anwendungen wie Videokonferenzen oder Dateiübertragungen relevant. Protokolle wie NetBIOS oder TFTP übernehmen hier die Kontrolle. Man könnte sagen: Die Session Layer organisiert die Bühne, auf der die Daten auftreten.

 

Schicht 4: Die Transport Layer – Der Postbote mit Anspruch

Hier geht es ans Eingemachte: Die Transport Layer sorgt dafür, dass Daten auch wirklich ankommen – und zwar korrekt und vollständig. Das Transmission Control Protocol (TCP) ist dabei der akribische Buchhalter (zuverlässige und garantierte Datenübertragung): Es nummeriert Pakete, überprüft ihre Vollständigkeit und fordert bei Bedarf erneut an. Eine E-Mail etwa wird in viele kleine Segmente zerlegt, transportiert und wieder zusammengesetzt – genau in der richtigen Reihenfolge. Der schnellere, aber verbindunglose Bruder UDP hingegen überträgt Daten ohne Absicherung – ideal für Echtzeitanwendungen wie Online-Gaming oder Voice-over-IP. Hier zählt Tempo vor Zuverlässigkeit. Wichtiger Hinweis: Auf dieser Schicht arbeiten auch Ports – virtuelle Tore, die bestimmen, welcher Dienst welche Daten erhält.

 

Schicht 3: Die Network Layer – Wegweiser durchs Datenchaos

Die Netzwerkschicht ist die Navigationseinheit des Internets. Sie sorgt dafür, dass jedes Datenpaket den optimalen Weg durch das globale Netz findet – auch über Ländergrenzen hinweg. Mit Hilfe von IP-Adressen (logische Adressierung) wird jedes Ziel eindeutig identifiziert. Protokolle wie ICMP (z. B. bei Ping-Befehlen), IPsec (für sichere Übertragungen) oder OSPF (für Routing in großen Netzwerken – „der schnellste/kürzeste Weg“ wird anhand bestimmter Metriken ausgewählt) kommen hier zum Einsatz. Hier arbeiten die Router, die es hier zwingend braucht – hochentwickelte Verkehrsregler in der digitalen Datenautobahn.

 

Schicht 2: Die Data Link Layer – Kontrolle auf kurzer Strecke

Hier geschieht die Zerlegung von Datenpaketen in Frames – kleine Rahmen, die zusätzlich mit Prüfsummen versehen werden, um Übertragungsfehler zu erkennen. Die Data Link Layer ist auch dafür zuständig, dass innerhalb eines lokalen Netzwerks (LAN) klar ist, wer wann senden darf. Protokolle wie MAC, PPP oder HDLC organisieren diesen Zugriff. Typische Geräte auf dieser Ebene sind Switches und Bridges – sie leiten Daten innerhalb eines Netzsegments effizient weiter.

 

Schicht 1: Die Physical Layer – Die Welt der Elektronen und Photonen

Ganz unten, an der Grenze zur Physik, wird es fundamental: Hier werden die digitalen 1en und 0en – also Bits – in elektrische, optische oder elektromagnetische Signale umgewandelt. Ob über Kupferkabel, Lichtwellenleiter (LWL) oder Funkwellen (z. B. WLAN) – die Physical Layer ist das physische Medium, auf dem alles ruht. Hier arbeiten auch primitive, aber essenzielle Geräte wie Repeater oder Hubs, die Signale verstärken oder verteilen.

 

Von Schicht zu Schicht – Ein harmonisches Zusammenspiel

Das OSI-Modell ist nicht nur ein theoretisches Konstrukt, sondern eine didaktische Meisterleistung: Es erlaubt uns, komplexe Netzwerke modular zu denken. So wie ein Brief vom Absender zum Empfänger viele Stationen durchläuft – vom Schreiben über Verpackung, Transport, Sortierung und Zustellung – so wandern auch digitale Daten von Schicht zu Schicht, bevor sie ihr Ziel erreichen.

 

Gleichwohl gilt es anzuerkennen, dass das OSI-Modell im praktischen Netzwerkbetrieb nicht als verbindliche Architektur verwendet wird. Stattdessen ist das sogenannte TCP/IP-Referenzmodell – ursprünglich vom US-Verteidigungsministerium (DoD) in den 1970er Jahren entwickelt – die faktische Grundlage des heutigen Internets. Dieses Modell, das in vier funktionale Schichten (Application, Transport, Internet, Network Access) unterteilt ist, wurde nicht auf theoretische Vollständigkeit, sondern auf technologische Pragmatik und Interoperabilität hin entworfen (vgl. Comer, D.E.: Internetworking with TCP/IP, 6th ed., Pearson, 2014). Der Erfolg dieses „DoD-Modells“ liegt gerade darin, dass es aus dem praktischen Bedürfnis heraus entstanden ist, heterogene Netzwerke effektiv zu verbinden – lange bevor sich das OSI-Modell in der akademischen Welt etablierte. Auch Tanenbaum konstatiert nüchtern: „The OSI model is beautiful in theory, but TCP/IP dominates in practice.“ (vgl. Tanenbaum, A.S., Computer Networks, 5th ed., Pearson, 2010, S. 35).

 

Unsichtbare Ordnung im digitalen Alltag

Das OSI-Modell mag abstrakt wirken, doch es ist der unsichtbare Architekt unseres vernetzten Lebens. Ob beim Streamen eines Films, beim Zugriff auf eine Datenbank oder beim Online-Banking – jede Aktion im Netz ist ein orchestriertes Zusammenspiel dieser sieben Schichten. Und je besser wir diese verstehen, desto klarer wird uns: Das Internet ist kein undurchdringliches Mysterium, sondern ein präzise choreografiertes System – entworfen, um Milliarden von Menschen jeden Tag zuverlässig zu verbinden.

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