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Hume und die Kausalität: Eine epistemologische Dekonstruktion

DMZ - BLICKWINKEL ¦ Matthias Walter

KOMMENTAR

David Hume problematisiert das Konzept der Kausalität auf radikale Weise. Die interne Sinneswahrnehmung (immanente Perzeption) setzt eine externe Ursache voraus, die jenseits des physischen Leibes lokalisiert wird. Dabei entspricht die Diversität der Wirkungen einer analogen Diversität der Ursachen – ein Prinzip, das als Gesetz der Kausalität die Struktur unserer äußeren Erfahrungswelt zu ordnen scheint. Zahlreiche Philosophen akzeptierten diese Prämisse als apodiktisch, ohne sie einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

 

Hume jedoch stellt die Validität dieses vermeintlichen Gesetzes infrage. Erfahrung – als vermeintliche Quelle aller Erkenntnis – vermittelt keineswegs den kausalen Nexus selbst. Vielmehr zeigt sich in der empirischen Analyse lediglich eine temporale Sukzession von Zuständen, ein bloßes Nacheinander ohne notwendiges Erfolgen. Die vermeintliche Notwendigkeit der Kausalität erweist sich als kontingent, nicht als apriorisch zwingend.

 

Ein kontrastierender Blick auf Immanuel Kant zeigt eine alternative Perspektive: Kausalität ist keine von außen in das Bewusstsein eingehende Gegebenheit (kein empirischer Import), sondern eine konstitutive, apriorische Verstandesform. Sie residiert somit im Subjekt, nicht im Objekt. Die Subjektivität der Sinneswahrnehmung korreliert folglich mit der Subjektivität des Kausalitätsprinzips. Das Subjekt transformiert gleichsam ein externes Objekt – das „Ding an sich“ – gemäß seinen epistemischen Strukturen. Der Intellekt ist hierzu determiniert und projiziert diese Struktur in den Raum, wobei auch der Raum selbst als apriorische Anschauungsform subjektiv bleibt. Die Sinnesorgane fungieren dabei als kausale Initiatoren dieses Prozesses.

 

Eine zentrale Fragestellung emergiert: Wie lässt sich das „Ding an sich“ – ein ontologisch von uns distinktes, außerhalb Liegendes – epistemologisch legitim deduzieren? Kants Antwort bleibt ambivalent. Mit den apriorischen Kategorien des Verstandes ist ein Zugang zum „Ding an sich“ unmöglich, da dies einen logischen Widerspruch implizieren würde. Kritiker werfen Kant vor, hier eine methodische Inkonsistenz zu offenbaren: Das „Ding an sich“ dürfe nicht aus der Vorstellung abgeleitet werden, doch eine stringente Deduktion bleibt aus. Kant belässt alles, was nicht apriorisch konstruierbar ist, im Status des Unbekannten.

 

Das Aposteriorische – das aus der Erfahrung Gewonnene – erscheint stets eingebettet in eine apriorische Erscheinungsform. Es bildet den Stoff der Phänomenalwelt, im Gegensatz zu ihrer Form. Kant attribuiert diesen Stoff jedoch nicht dem „Ding an sich“. Der Stoff bedürfe vielmehr einer Grundlage, sei jedoch untrennbar mit der Form verknüpft – das Apriorische verhüllt gleichsam den Stoff. Wir erkennen nach Kant lediglich die Existenz des „Ding an sich“, nicht aber sein Wesen.

 

Schopenhauer hingegen radikalisiert diese Position: Sowohl Stoff als auch Form entspringen dem Subjekt. Nur unter der Annahme eines objektiven Stoffes könnte dieser das „Ding an sich“ verbergen. Der Ursprung liege in der Sinneswahrnehmung: Vorstellungen werden durch neuronale Reize initiiert (z. B. Retina, auditorische Rezeptoren, taktile Sensorik). Eine externe Veränderung wird wahrgenommen, eine interne Veränderung inferiert. Kausalität könnte demnach aus dem – allerdings subjektiven – Raum heraus wahrgenommen werden. Die Sinneswahrnehmung bildet somit den Ausgangspunkt, liefert den Stoff zur empirischen Anschauung und ist in ihrer Gänze subjektiv – sowohl in ihrem Stoff als auch in ihrer Form. Die Erkenntnisformen projizieren diesen lediglich nach außen.

 

Empirische Erkenntnis zerfällt in zwei konstitutive Elemente, deren Ursprung im Subjekt liegt: die Sinneswahrnehmung und die apriorischen „Gehirnfunktionen“ (Zeit, Raum, Kausalität). Das Gesetz der Kausalität – der primäre Fokus dieser Analyse – darf nach Hume und verwandten Denkern nicht als absolut gesetzt werden. Folglich ist ein Schluss von subjektiven Sinneswahrnehmungen auf externe, unabhängige Realitäten illegitim. Der Übergang von der Wirkung zur Ursache wäre der einzige mögliche Schritt, um vom Subjektiven zum Objektiven zu gelangen. Ist jedoch die Kausalität selbst subjektiv und immanent, bleibt dieser Weg versperrt. Das „Ding an sich“ verharrt somit in ewiger epistemischer Unzugänglichkeit.“

 

 

 

Quellen:

David Hume

Hume problematisiert die Kausalität in seinem Werk A Treatise of Human Nature (1739–1740) und später in der Enquiry Concerning Human Understanding (1748). Seine zentrale These, dass Kausalität nicht aus der Erfahrung zwingend abgeleitet werden kann, sondern auf Gewohnheit und temporaler Sukzession basiert, findet sich insbesondere in folgenden Abschnitten:

Primärquelle: Hume, David. An Enquiry Concerning Human Understanding, Section VII: "Of the Idea of Necessary Connexion". (Deutsch: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand.)

Hier argumentiert Hume, dass wir nur ein „Nacheinander“ beobachten, keine notwendige Verbindung zwischen Ursache und Wirkung.

Sekundärliteratur:

Bennett, Jonathan. Learning from Six Philosophers: Descartes, Spinoza, Leibniz, Locke, Berkeley, Hume. Oxford University Press, 2001. (Kapitel zu Hume über Kausalität.)

Strawson, Galen. The Secret Connexion: Causation, Realism, and David Hume. Oxford University Press, 1989.

Immanuel Kant

Kant entwickelt seine Theorie der Kausalität als apriorische Verstandeskategorie in der Kritik der reinen Vernunft (1781, zweite Auflage 1787). Er sieht Kausalität als subjektive Struktur, die der Erfahrung Ordnung verleiht, während das „Ding an sich“ unerkennbar bleibt. Relevante Stellen:

Primärquelle: Kant, Immanuel. Kritik der reinen Vernunft, B 33–B 169 („Transzendentale Ästhetik“ und „Transzendentale Analytik“, insbesondere die „Zweite Analogie der Erfahrung“).

Kausalität wird hier als Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung eingeführt.

Zum „Ding an sich“: B xxvi–xxvii, A 30/B 45.

Sekundärliteratur:

Allison, Henry E. Kant’s Transcendental Idealism: An Interpretation and Defense. Yale University Press, 2004. (Kapitel über Kausalität und das „Ding an sich“.)

Guyer, Paul. Kant and the Claims of Knowledge. Cambridge University Press, 1987.

Arthur Schopenhauer

Schopenhauer radikalisiert Kants Position in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819, erweiterte Auflage 1844). Er sieht sowohl Stoff als auch Form der Wahrnehmung als subjektiv und verortet Kausalität in der subjektiven Vorstellung, die durch Sinnesreize initiiert wird.

Primärquelle: Schopenhauer, Arthur. Die Welt als Wille und Vorstellung, Band I, § 4 und § 21.

Hier beschreibt er die Sinneswahrnehmung als Ausgangspunkt und die Kausalität als subjektive Projektion.

Sekundärliteratur:

Janaway, Christopher. Schopenhauer: A Very Short Introduction. Oxford University Press, 2002.

Wicks, Robert. Schopenhauer’s The World as Will and Representation: A Critical Guide. Bloomsbury Academic, 2011.

Zusätzliche Hinweise

Die im Text erwähnte Kritik an Kants „methodischer Inkonsistenz“ (bezüglich des „Ding an sich“) wird häufig in der Kant-Forschung diskutiert, z. B. bei Friedrich Heinrich Jacobi oder in moderner Form bei Paul Guyer.

Der Bezug zu „neuronalen Reizen“ (Retina etc.) ist eine interpretative Modernisierung Schopenhauers, die sich auf seine Betonung der Sinneswahrnehmung stützt, aber nicht wörtlich in seinen Texten vorkommt. Hier könnten neuere philosophische oder naturwissenschaftliche Studien zur Wahrnehmung (z. B. aus der Kognitionswissenschaft) als Hintergrund dienen.

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