­

Zwischen Sprachenthusiasmus und Skepsis: Andreas Egert über Aphorismen, Journalismus und die Kunst des Denkens

DMZ - INTERVIEW ¦ Matthias Walter

Herzlich willkommen zum ersten Teil unseres dreiteiligen Interviews mit Andreas Egert, einem herausragenden Kopf der zeitgenössischen Aphoristik. Egert, geboren 1968 in Frankfurt-Höchst, ist nicht nur ein versierter Journalist und Germanist, sondern vor allem als Autor des vielbeachteten Werks fehlfarbenfroh bekannt. Sein Opus magnum, eine erweiterte Neuausgabe des gleichnamigen Aphorismenbands, entführt uns in eine Welt bissiger, überraschender und geistreicher Reflexionen über das Leben. In diesem ersten Abschnitt tauchen wir ein in die Gedankenwelt eines Mannes, der mit Worten spielt, Konventionen hinterfragt und den Leser zum Mitdenken anregt. Lassen Sie uns beginnen!

 

Lieber Andreas. Wir sind uns durch Zufall in den sozialen Medien „über den Weg gelaufen“. Für die, die Dich noch nicht kennen: Du wurdest, wie eingangs erwähnt, 1968 in Frankfurt-Höchst geboren. Wie waren dort Deine Kindheit und Jugend? Und wie bist Du zum Philosophen und Schriftsteller geworden?

 

Andreas Egert: Also zur Kindheit, sicher ein Schlüssel zu uns allen, ich habe die Freiheiten genossen, die mir Eltern und Zeitgeist in den 1970'er Jahre vergönnt haben. Schon eine Art Kindheitsparadies, aus der man mit dem Einbruch der Schule vertrieben werden sollte. So ganz hat das bei aber nicht funktioniert. Die Neugier, das Wundern, der positive Teil des Infantilen wirkt immer noch nach, den negativen Teil sehe ich gesellschaftskritisch als problematisch, die Rechthaberei, die Unfähigkeit auf andere Perspektiven einzugehen, das Kindergärten-Nicht-Denken der Ausgrenzung. Normen, Anpassung und Mitläuferei waren mir immer suspekt, deshalb schon früh eine Neigung zum Aphorismus, zum aphoristischen Denken, zur Skepsis, zum kritischen Denken, zum Infragestellen vermeintlicher Gewissheiten.

 

Dann hast Du irgendwann Dein Abitur gemacht. War schon schnell klar, wo die Reise hingehen soll? Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaften. Auch kein dünnes Brett!

 

Andreas Egert: Nach dem eher en passant abgelegten Abitur mit den Leistungsfächern Englisch und Geschichte, gut eigentlich nur Deutsch als mündliches Prüfungsfach, machte ich erstmal den damals obligatorischen Zivildienst, zu dem ich mich recht spät, erst nach der Musterung, durchgerungen habe, das war schon wirkungsvoll. Man lernt Schattenseiten kennen, die man kaum vermutet hätte. Nach der Verkürzung von 20 auf 15 Monate stand die Wahl des Studienfachs an und damals gab es noch intakte Geisteswissenschaften, die mich dann verführten. Zum Aphorismus im Studium kam ich vor allem auch durch die Generation der damaligen Universitätsprofessoren wie zuerst Ralph Rainer Wuthenow, den ich auch nach dem Studium verbunden blieb. Der hatte eine bunte Vita, war in Frankreich und Japan und hat zum Aphorismus gelehrt.

 

Dann hast Du Dich auch noch zum Journalisten ausbilden lassen – an der „ifm“ in Bruchsal. Wie kam es denn dazu? Und was zeichnet für Dich grandiosen Journalismus aus?

 

Andreas Egert: Nach dem Studium, Politologie war eine eher pragmatische Ergänzung, stellte sich die Frage, wie weiter? Damals war noch offen, wohin sich der Journalismus entwickeln würde, es gab noch ein Feuilleton, es gab noch einen Grundkonsens über Kritik in der Profession. Man erkannte aber schon, dass die zunehmende Privatisierung des Rundfunks auf Kosten der Qualität ging. Immer weniger hat man sich in andere Perspektiven hineinversetzt, wirklich unterschiedliche Quellen zur Kenntnis genommen, unabhängige und neutrale Haltung bewährt. Auch wenn es Objektivität nicht geben kann, so wollte man doch seinem Sujet gerecht werden, aber Zeitdruck und unterkomplexe Sprache erschwerten die Aufgabe. Den Abstieg des Journalismus im 21. Jahrhundert konnte man aber nicht ahnen.

 

Staatsgläubigkeit, Einseitigkeit, leichte Sprache haben sich als Haltungsjournalismus ohne Haltung durchgesetzt. Zuerst in den klassischen Formen des Journalismus, die jetzt einfach ihr Handwerkszeug verleugneten, aber auch in den Sozialen Medien als neuer Form auch des Journalismus. Wobei bei letzterem in aller Vielstimmigkeit auch Hoffnungsschimmer zu finden sind. Ich war selbst nach der Journalistenschule knapp 3 Monate beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem hr in Frankfurt, und man konnte damals schon ahnen, wie man begann, seinen Auftrag zu verraten, und nicht nur den Bildungsauftrag. Kleine Karrieren waren wichtiger als unbequemes Denken, leider ein schlechtes Omen.

 

Dein Fokus beziehungsweise Dein Schwerpunkt liegt sehr in den Bereichen Aphorismen und Essays. Was macht einen guten Aphoristiker eigentlich aus? Bei Dir ist auffällig, dass der Humor dabei eine gewichtige Rolle spielt.

 

Andreas Egert: Der Aphorismus, ich spreche gern vom aphoristischen Denken, steht für einen Widerspruch, einen Einspruch gegen konventionelles Denken, Vorurteile, Ideologien, Normen und Denkfaulheiten. Er ist ein Geistesblitz, der spontan und manieristisch auf den Punkt kommt, um Denkreize zu stimulieren, die der Leser durch sein Mitdenken vergolden kann, das kann auch mal eine Banalität sein, ein Wortspiel oder ein Chiasmus. Er schwankt zwischen Metapher und Paradoxon, um pointiert durch die Verkürzung eines Gedankenspielraums zu neuen Erkenntnissen und Perspektiven zu kommen. Und mit der Pointe sind wir auch schon beim Humor: auch die Pointe versucht ja gewohnte Pfade aufzusprengen, spielerisch und experimentell Denksysteme infrage zu stellen.

 

Dazu habe ich den Essay: Die Pointe als Erkenntnisschöpfer auf Grundlage meiner Magister-Arbeit verfeinert, auch in: Der Fall Aphorismus. Wenn man mutmaßt, dass die sprichwörtliche deutsche Humorlosigkeit dem Aphorismus schon immer schwer zu schaffen gemacht hat, erklärt seine bedrohte Art hierzulande. Esprit und Witz, wie im englischen und französischen Salon, waren immer die Ausnahme; der deutsche Geist verkümmerte gerne auf seiner Studierstube. Letztlich flieht der Aphorismus jeder Definition, mit der er gerne spielerisch und listig arbeitet, weil er schwer zu fassen bleibt, egal ob in der Kunst, der Philosophie oder der Wissenschaft, neben seinen Nachbargattungen Essay, Fragment, Tagebuch, Lyrik oder Brief. Auch die besten Stellen beim Erzfeind Roman sind oft genug Aphorismen, eine Ironie der Literaturgeschichte.

 

Welche Autoren haben Dich maßgeblich beeinflusst? Ich meine, dass es bei Dir eine tiefe, nicht nur aphoristische, Verbundenheit mit Oscar Wilde, Georg Christoph Lichtenberg und Friedrich Nietzsche gibt, um nur drei zu nennen.

 

Im aphoristischen deutschen Sprachraum kommt man nicht an Lichtenberg, Nietzsche und Karl Kraus vorbei, dem Trio Infernale. Auch wenn man einen Hamann, einen Heinse, einen Seume, einen Heine, einen Goethe, einen Jean Paul, einen Tucholsky einen Canetti und andere nicht unterschlagen will. Aber diese drei waren ZUERST Aphoristiker und dann erst Schriftsteller, Journalisten, Satiriker, Romanciers oder Dichter.

 

Lichtenberg war wohl der größte Humorist deutschsprachiger Sprache, Nietzsche das feinsinnige, sprachrevolutionäre Dynamit, Kraus der detailverliebte Chronist mit der Fackel. Daneben schätze ich aber vor allem die französischen Moralisten mit Chamfort, La Rochefoucauld und Rivarol zuerst, im weiteren Sinne auch Montaigne und Pascal. Das ist die Heimat des Aphorismus in der Neuzeit nach der Antike mit dem Höhepunkt im 18. Jahrhundert, dem sich auch Cioran als einer der letzten großen Nachläufer verpflichtet fühlt. Geist, Esprit, Skepsis, Kritik, Humor und Noblesse im Salon waren hier im Frankreich des 18. Jahrhunderts gesellschaftsfähig.

 

Aber es waren wie Oscar Wilde immer auch radikale Außenseiter, die die Gattung lebendig gehalten haben. Wilde Aphorismen finden sich im Gesamtwerk, seinen Dramen und vor allem auch in seinen Briefen verstreut. Der extrem schwere Stand des Aphorismus heute liegt zuerst an unserer Bildungskatastrophe, dem Verlust des kritischen und mündigen Citoyens, der die europäische Hochkultur erst ermöglicht hat. Und der Abstieg Europas hat auch mit dem kulturgeschichtlichen Anfang vom Ende des Aphorismus zu tun, man kann ihn nicht mehr lesen, man ist ihm nicht mehr gewachsen, obwohl er doch keine Angst vor banalen Wortspielen hat. Der Aphorismus ist heuer zu unbequem, zu leidenschaftlich, zu überraschend für unsere depravierten, konsumistischen und überangepassten Medien- und Massengesellschaften.

 

Wir haben den Aphorismus aber noch als antiquarischen Schatz im Keller und sollten ihn hegen und pflegen, solange wir ihn noch kennen. Er ist immer auch ein Verweis auf eine andere Welt, die immer auch möglich ist, gerade weil er zwischen Sprachenthusiasmus und Sprachnihilismus schwankt und alle denkbaren Launen auslebt. Ecce homo könnte man ihm hinterherrufen, wenn er sich gerade wieder beim Sprechen und Schreiben versucht.

 

Damit schließen wir den ersten Teil unseres Gesprächs mit Andreas Egert ab – ein faszinierender Einblick in die Welt eines Autors, der mit fehlfarbenfroh die Grenzen des Denkens und der Sprache auslotet. Seine pointierten Gedanken lassen uns neugierig auf mehr zurück. Im nächsten Teil erwarten uns weitere Einblicke in seine Schaffensweise und die Geschichten hinter seinen Werken. Bis dahin – bleiben Sie gespannt!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0