
DMZ – POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦
Kontrollierte "Ultima Ratio"-Maßnahme zur Abwehr schwerwiegender Bedrohungen – Bundesverwaltungsgericht und Rechtsschutzbeauftragte als zentrale Kontrollinstanzen
Die Bundesregierung hat eine weitreichende Gesetzesnovelle vorgelegt, die künftig die Überwachung verschlüsselter digitaler Kommunikation durch die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ermöglichen soll. Ziel ist es, im Kampf gegen besonders schwerwiegende Bedrohungen – etwa terroristische Anschläge oder Spionage – effektiver agieren zu können. Die geplante Reform betrifft unter anderem das Staatsschutz- und Nachrichtendienst-Gesetz (SNG), das Sicherheitspolizeigesetz sowie das Telekommunikationsgesetz.
Kernstück der Vorlage (136 d.B.) ist die Einführung einer Rechtsgrundlage für die sogenannte "Nachrichtenüberwachung" – also das gezielte Mitlesen von Kommunikationsinhalten in Messenger-Diensten wie WhatsApp oder Signal, auch wenn diese Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind. Laut Bundesregierung soll diese Maßnahme nur unter strengsten Auflagen und als „letztes Mittel“ zur Anwendung kommen, wenn andere Ermittlungsansätze ausgeschöpft sind.
Strikte Voraussetzungen und mehrstufige Kontrolle
Die Überwachung darf laut Gesetzesentwurf ausschließlich zur Abwehr von Angriffen erfolgen, die „besonders schwerwiegend verfassungsgefährdend“ sind und mit mindestens zehn Jahren Haft bedroht werden – etwa bei Terrorismus oder Spionage. Der Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation erfordert das Einbringen spezieller Software in das jeweilige Endgerät (z. B. Smartphone oder Tablet), um Nachrichten vor der Verschlüsselung oder nach deren Entschlüsselung auszulesen. Eine vollständige Online-Durchsuchung lokaler Daten ist ausdrücklich ausgeschlossen.
Ein zentraler Bestandteil des Entwurfs ist das neuartige Rechtsschutzsystem: Jeder Überwachungsantrag muss vorab von einem unabhängigen Rechtsschutzbeauftragten geprüft und anschließend vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) genehmigt werden. Die richterliche Prüfung soll im Regelfall durch einen Dreier-Senat erfolgen, bei Gefahr im Verzug ist ein Einzelrichterverfahren vorgesehen. Zudem ist eine spezielle Journaldienststruktur am BVwG geplant, um kurzfristige Entscheidungen zu ermöglichen.
Technische Auflagen und Schutz vor Missbrauch
Auch auf technischer Ebene sieht die Regierung enge Grenzen vor. So darf die eingesetzte Überwachungssoftware nur genau definierte Applikationen und Zeiträume betreffen. Die Programme müssen nach Ende der Maßnahme vollständig deaktiviert oder gelöscht werden können – etwa mittels eines sogenannten "Kill-Switch". Darüber hinaus sollen Maßnahmen ausgeschlossen werden, die neue Sicherheitslücken schaffen oder bestehende ausnutzen, ohne dass diese geschlossen werden.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der eindeutigen Zuordnung des Zielcomputers zur zu überwachenden Person. Nur Geräte, die sich nachweislich und dauerhaft im Einflussbereich der betroffenen Person befinden, dürfen überwacht werden. Damit soll sichergestellt werden, dass Unbeteiligte nicht ins Visier der Behörden geraten. Alle Maßnahmen sind umfassend zu dokumentieren.
Recht auf Information und Rechtsmittel
Nach Abschluss der Maßnahme müssen Betroffene – ebenso wie identifizierbare Kommunikationspartner:innen – über Umfang und Rechtsgrundlage der Überwachung informiert werden. Ihnen steht das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen Revision beim BVwG oder Beschwerde zu erheben.
Aufgabenverlagerung und neue Eingriffsbefugnisse
Über die Einführung der Überwachung hinaus enthält die Novelle weitere relevante Bestimmungen. So soll die Aufgabenverlagerung innerhalb der DSN zwischen Nachrichtendienst und Staatsschutzbereich künftig unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein – etwa wenn sich aus einer nachrichtendienstlichen Beobachtung ein konkreter Gefährder ergibt, gegen den staatsschutzpolizeiliche Maßnahmen nötig sind. Eine solche Verlagerung muss dokumentiert, begründet und jederzeit widerrufbar sein.
Auch das Aufschieben von polizeilichem Einschreiten wird gesetzlich geregelt: Wenn dadurch laufende geheimdienstliche Ermittlungen geschützt werden und keine Gefahr für Leib und Leben Dritter besteht, kann ein solcher Aufschub erfolgen. Die zuständige Staatsanwaltschaft ist umgehend zu informieren und kann den Aufschub widerrufen.
Parlamentarische Kontrolle und neue Berichtspflichten
Die Gesetzesinitiative sieht zudem eine Stärkung der parlamentarischen Kontrolle vor. Der Innenminister soll den ständigen Unterausschuss des Nationalrats regelmäßig über erfolgte Maßnahmen, eingesetzte Programme und deren Kosten informieren. Sollte es zu mehr als 30 Überwachungen im Jahr kommen, ist eine unverzügliche Mitteilung vorgesehen. Auch der oder die Rechtsschutzbeauftragte muss dem Ausschuss auf Anfrage Auskunft geben.
Vertrauensprüfung und technische Ressourcen
Um die Unabhängigkeit und Integrität der Kontrollinstanzen zu gewährleisten, sieht die Regierung verpflichtende Vertrauenswürdigkeitsprüfungen für alle beteiligten Personen vor – einschließlich der Richter:innen des BVwG sowie deren Mitarbeitenden. Diese Prüfungen sollen alle fünf Jahre oder bei konkretem Anlass wiederholt werden. Dem oder der Rechtsschutzbeauftragten werden technische Expert:innen zur Seite gestellt, um eine fundierte Prüfung der eingesetzten Software zu gewährleisten.
Kritische Reaktionen erwartet
Die geplante Reform wird voraussichtlich zu intensiven Debatten führen. Datenschützer:innen und Grundrechtsorganisationen hatten bereits in der Vergangenheit ähnliche Vorhaben, etwa zur Einführung eines "Bundestrojaners", scharf kritisiert. Auch wenn die Bundesregierung betont, dass es sich um eine Maßnahme mit engsten Schranken und umfassender Kontrolle handelt, bleibt abzuwarten, ob der Entwurf verfassungsrechtlich und politisch Bestand haben wird.
Die Vorlage wird nun im Nationalrat beraten. Eine Beschlussfassung könnte noch vor Jahresende erfolgen.
Hintergrund:
Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) ist seit 2021 die zentrale österreichische Behörde zur Abwehr verfassungsgefährdender Bedrohungen. Ihre Kompetenzen wurden nach der Auflösung des früheren Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) neu geordnet und sollen mit der aktuellen Novelle weiter geschärft werden.
Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦
Fehler- und Korrekturhinweise
Wenn Sie einen Fehler entdecken, der Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollte, teilen Sie ihn uns bitte mit, indem Sie an intern@mittellaendische.ch schreiben. Wir sind bestrebt, eventuelle Fehler zeitnah zu korrigieren, und Ihre Mitarbeit erleichtert uns diesen Prozess erheblich. Bitte geben Sie in Ihrer E-Mail die folgenden Informationen sachlich an:
- Ort des Fehlers: Geben Sie uns die genaue URL/Webadresse an, unter der Sie den Fehler gefunden haben.
- Beschreibung des Fehlers: Teilen Sie uns bitte präzise mit, welche Angaben oder Textpassagen Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollten und auf welche Weise. Wir sind offen für Ihre sinnvollen Vorschläge.
- Belege: Idealerweise fügen Sie Ihrer Nachricht Belege für Ihre Aussagen hinzu, wie beispielsweise Webadressen. Das erleichtert es uns, Ihre Fehler- oder Korrekturhinweise zu überprüfen und die Korrektur möglichst schnell durchzuführen.
Wir prüfen eingegangene Fehler- und Korrekturhinweise so schnell wie möglich. Vielen Dank für Ihr konstruktives Feedback!
Unterstützen Sie uns jetzt!
Seit unserer Gründung steht die DMZ für freien Zugang zu Informationen für alle – das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir möchten, dass jeder Mensch kostenlos faktenbasierte Nachrichten erhält, und zwar wertfrei und ohne störende Unterbrechungen.
Unser Ziel ist es, engagierten und qualitativ hochwertigen Journalismus anzubieten, der für alle frei zugänglich ist, ohne Paywall. Gerade in dieser Zeit der Desinformation und sozialen Medien ist es entscheidend, dass seriöse, faktenbasierte und wissenschaftliche Informationen und Analysen für jedermann verfügbar sind.
Unsere Leserinnen und Leser machen uns besonders. Nur dank Ihnen, unserer Leserschaft, existiert die DMZ. Sie sind unser größter Schatz.
Sie wissen, dass guter Journalismus nicht von selbst entsteht, und dafür sind wir sehr dankbar. Um auch in Zukunft unabhängigen Journalismus anbieten zu können, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen.
Setzen Sie ein starkes Zeichen für die DMZ und die Zukunft unseres Journalismus. Schon mit einem Beitrag von 5 Euro können Sie einen Unterschied machen und dazu beitragen, dass wir weiterhin frei berichten können.
Jeder Beitrag zählt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!
Kommentar schreiben