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Spitex ist mehr als Pflege – sie gibt Menschen ihr Leben zurück

DMZ – BLICKWINKEL ¦ Liselotte Hofer ¦

KOMMENTAR  

 

Während eines Klinikaufenthalts schlugen mir die Ärzte vor, künftig mit Spitex zu leben. Spitex – das ist ambulante Pflege und Betreuung in der eigenen Wohnung. Heute, Jahre später, weiß ich: Diese Entscheidung hat mein Leben verändert.

 

Ich lebe inzwischen im betreuten Wohnen. Fünfmal pro Woche kommt jemand von der Spitex vorbei. Die Mitarbeitenden helfen mir nicht nur bei Alltagsdingen – sie helfen mir, mein Leben zu strukturieren, unter Menschen zu kommen und mit meiner Angst umzugehen. Wir treffen uns in Cafés, in der Stadt, manchmal auch am See. Es geht um viel mehr als Pflege: Es geht um Begegnung, Vertrauen und Selbstbestimmung.

 

Gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen ist das nicht selbstverständlich. Auch ich hatte lange Angst vor Männern – ausgelöst durch traumatische Erfahrungen. Dass mich heute zwei männliche Betreuer begleiten, war zunächst eine Herausforderung. Doch genau das half mir, alte Muster zu durchbrechen. Ich habe gelernt, wieder Vertrauen zu fassen – durch behutsame, respektvolle Begleitung.

 

Spitex ist für mich ein Gegenmodell zum patriarchalen Zugriff, den ich aus meiner Biografie kenne: Hier geht es nicht um Kontrolle, sondern um partnerschaftliche Unterstützung. Selbst am Wochenende, wenn niemand vor Ort ist, weiß ich: Ich kann jederzeit jemanden erreichen. Ich bin nicht allein.

 

Diese Form der Betreuung ermöglicht Menschen wie mir ein autonomes Leben in Würde. Sie ersetzt keine Therapie – aber sie ergänzt sie auf eine Weise, die essenziell ist. Trotzdem wird die Bedeutung solcher Dienste oft unterschätzt. Spitex ist keine Randnotiz im Pflegesystem. Sie ist ein zentrales Element sozialer Gerechtigkeit – und verdient endlich die gesellschaftliche Anerkennung und politische Unterstützung, die sie braucht.

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