· 

AT: Kindeswohl, Täuschung und Geschäft mit der Angst: Der neue Sektenbericht legt gefährliche Dynamiken offen

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦   

KOMMENTAR 

 

Der aktuelle Tätigkeitsbericht der Bundesstelle für Sektenfragen ist kein Dokument akademischer Nüchternheit, das man zur Kenntnis nimmt und dann wieder vergisst. Er ist ein Weckruf – an Politik, Medien, Eltern und alle, denen die demokratische und gesundheitliche Integrität dieser Gesellschaft nicht gleichgültig ist.

 

Was dieser Bericht zeigt, ist ein besorgniserregendes Bild: von Kindeswohlgefährdung in weltanschaulich geprägten Milieus über sektennahe Sommerbetreuung, von fundamentalistischen Online-Coaches bis hin zum boomenden Geschäft mit Verschwörungstheorien. Die Vielfalt ist erschreckend – und ihre Gemeinsamkeit liegt in der gezielten Täuschung, in der Manipulation und häufig auch im Geschäft mit Angst und Unsicherheit.

 

Kinderschutz statt Toleranzromantik 

Besonders alarmierend sind die dokumentierten Fälle, in denen Kinder durch Zwangsrituale, Bildungs- oder Medizinverweigerung massiv gefährdet werden – oftmals unter dem Deckmantel vermeintlicher Religionsfreiheit. Der Staat darf hier nicht länger mit falsch verstandener Toleranz wegsehen. Wo Eltern ihre Kinder in geschlossene Glaubenssysteme drängen, wo Aufklärung verweigert und Isolation gefördert wird, endet die Religionsfreiheit. Und beginnt die Pflicht zum Schutz.

 

Der Bericht weist völlig zu Recht darauf hin, dass Gefährdung nicht nur durch Gewalt oder Vernachlässigung geschieht. Auch subtile Formen der Kontrolle – etwa durch rigide Rollenbilder, pseudowissenschaftliche Heilsversprechen oder autoritäre Erziehungsmuster – können lebenslange Schäden verursachen. Wer das bagatellisiert, riskiert die geistige Unversehrtheit einer ganzen Generation.

 

Verschwörungsideologien als Geschäftsmodell 

Besonders perfide ist das systematische Ausnutzen von Verschwörungserzählungen zu kommerziellen Zwecken. Die geplante Untersuchung zum „Geschäftsmodell Verschwörungstheorien“ ist längst überfällig. Denn was im digitalen Raum als "Aufklärung" daherkommt, dient oft nur einem Zweck: dem Verkauf überteuerter Nahrungsergänzungsmittel, Esoterik-Produkte oder fragwürdiger Coachingprogramme.

 

Dabei geht es nicht mehr nur um harmlose Spinnereien, sondern um strukturiert betriebene Indoktrination. Inhalte wie „Great Reset“ oder QAnon sind keine alternativen Perspektiven – sie sind antidemokratisch, antisemitisch und gefährlich. Die gezielte Verbreitung solcher Ideologien in Telegram-Gruppen, besonders in der Nachfolge der COVID-19-Protestbewegung, ist ein Angriff auf die liberale Demokratie.

 

Die neue Welle der „Coaches“ – misogyner, manipulativer und gefährlicher 

Eine besonders toxische Spielart dieser Entwicklungen sind die sogenannten Online-Coaches – selbsternannte Lebensberater, die unter dem Vorwand von „Männlichkeit“ und „Selbstoptimierung“ antifeministische, queerfeindliche und autoritäre Inhalte propagieren. Namen wie Andrew Tate oder Markus Streinz stehen exemplarisch für eine Szene, die junge Männer gezielt rekrutiert, um sie in ein ideologisches Gefängnis aus Frauenverachtung, Verschwörungsdenken und toxischem Individualismus zu sperren.

 

Diese Akteure sind keine harmlosen Spinner. Sie sind Symptom und Brandbeschleuniger einer gesellschaftlichen Verrohung, in der Empathie als Schwäche gilt und Selbstzweifel als Verrat an der eigenen „Macht“. Wer Jugendliche auf diese Weise manipuliert, betreibt keine Lebenshilfe, sondern psychische Destabilisierung – mit oft ruinösen Folgen für Beziehungen, Bildungswege und das Demokratieverständnis.

 

Esoterik, Neopaganismus und völkische Narrative 

Was früher als harmlose Selbsterfahrungskurse in Klangschalen oder Runenschrift begann, ist heute oft Einfallstor für völkisches Gedankengut. Besonders im Bereich Neopaganismus dokumentiert der Bericht eine beunruhigende Nähe zu Geschichtsrevisionismus, antisemitischen Mythen und verschwörungstheoretischem Denken. Wo spirituelle Praktiken zum Träger ideologischer Radikalisierung werden, endet jede wohlwollende Nachsicht.

 

Auch Programme wie „Sag Nein zu Drogen“ zeigen, wie sehr gefährliche Ideologien sich als Prävention tarnen können. Dass es sich hier um eine Scientology-nahe Organisation handelt, ist kein Nebendetail, sondern das Kernproblem: Wer jungen Menschen angeblich hilft, aber in Wahrheit in ein geschlossenes Weltbild hineinzieht, handelt nicht präventiv, sondern destruktiv.

 

Konsequenzen sind überfällig

Die Fakten liegen auf dem Tisch. Jetzt ist entschlossenes Handeln gefragt:

  • Private Betreuungsangebote müssen strenger kontrolliert, qualitativ geprüft und transparent gestaltet werden.

  • Die Coachingbranche darf sich nicht länger jeder Regulierung entziehen.

  • Es braucht gesetzliche Grundlagen für ein effektives Monitoring ideologischer Einflussnahmen im digitalen Raum.

  • Und: Der Schutz von Kindern und Jugendlichen muss vor der Angst stehen, religiöse Gefühle zu verletzen.

 

Die Arbeit der Bundesstelle für Sektenfragen ist eine tragende Säule in dieser Abwehr. Doch ein Team von neun Personen kann nicht allein die ideologischen Abgründe dieser Gesellschaft aufdecken. Was es braucht, ist ein gesellschaftlicher Schulterschluss: von Bildungsinstitutionen, Justiz, Medien und Zivilgesellschaft.

 

Es ist Zeit, die Masken zu lüften – und den Täuschern entschlossen entgegenzutreten. Wer das Kindeswohl gefährdet, die Wahrheit verdreht und mit Angst Kasse macht, darf keine Bühne und keinen Freibrief mehr erhalten. Der Schutz der offenen Gesellschaft ist keine Option. Er ist Pflicht.

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 


Fehler- und Korrekturhinweise

Wenn Sie einen Fehler entdecken, der Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollte, teilen Sie ihn uns bitte mit, indem Sie an intern@mittellaendische.ch schreiben. Wir sind bestrebt, eventuelle Fehler zeitnah zu korrigieren, und Ihre Mitarbeit erleichtert uns diesen Prozess erheblich. Bitte geben Sie in Ihrer E-Mail die folgenden Informationen sachlich an:

  • Ort des Fehlers: Geben Sie uns die genaue URL/Webadresse an, unter der Sie den Fehler gefunden haben.
  • Beschreibung des Fehlers: Teilen Sie uns bitte präzise mit, welche Angaben oder Textpassagen Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollten und auf welche Weise. Wir sind offen für Ihre sinnvollen Vorschläge.
  • Belege: Idealerweise fügen Sie Ihrer Nachricht Belege für Ihre Aussagen hinzu, wie beispielsweise Webadressen. Das erleichtert es uns, Ihre Fehler- oder Korrekturhinweise zu überprüfen und die Korrektur möglichst schnell durchzuführen.

Wir prüfen eingegangene Fehler- und Korrekturhinweise so schnell wie möglich. Vielen Dank für Ihr konstruktives Feedback!


 

Unterstützen Sie uns jetzt!

Seit unserer Gründung steht die DMZ für freien Zugang zu Informationen für alle – das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir möchten, dass jeder Mensch kostenlos faktenbasierte Nachrichten erhält, und zwar wertfrei und ohne störende Unterbrechungen.

Unser Ziel ist es, engagierten und qualitativ hochwertigen Journalismus anzubieten, der für alle frei zugänglich ist, ohne Paywall. Gerade in dieser Zeit der Desinformation und sozialen Medien ist es entscheidend, dass seriöse, faktenbasierte und wissenschaftliche Informationen und Analysen für jedermann verfügbar sind.

Unsere Leserinnen und Leser machen uns besonders. Nur dank Ihnen, unserer Leserschaft, existiert die DMZ. Sie sind unser größter Schatz.

Sie wissen, dass guter Journalismus nicht von selbst entsteht, und dafür sind wir sehr dankbar. Um auch in Zukunft unabhängigen Journalismus anbieten zu können, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen.

Setzen Sie ein starkes Zeichen für die DMZ und die Zukunft unseres Journalismus. Schon mit einem Beitrag von 5 Euro können Sie einen Unterschied machen und dazu beitragen, dass wir weiterhin frei berichten können.

Jeder Beitrag zählt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!


Kommentar schreiben

Kommentare: 0