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Long Covid bei Kindern – ein übersehener Notstand mit schwerwiegenden Folgen

DMZ – WISSEN ¦ Lena Wallner ¦           

 

Ein Kommentar mit Faktenlage und Einschätzung zu einem Beitrag von Victoria Collins (Liberal Democrats, UK)

 

Die zwölfjährige Anna ist kein Einzelfall: Seit drei Jahren leidet sie an den Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion. Tägliche Kopfschmerzen, Magenbeschwerden und eine Schulzeit von lediglich einer Stunde und zwanzig Minuten – das ist ihre Realität. Was wie ein extremes Einzelschicksal wirkt, ist in Wahrheit ein systematisch unterschätztes Gesundheitsproblem: Long Covid bei Kindern.

 

In einem eindringlichen Appell im Humanists UK veröffentlichte die britische Abgeordnete Victoria Collins (Liberal Democrats) ihren Einsatz für Kinder mit Long Covid. Ihre Forderung: Forschung, Versorgung und politische Verantwortung müssen jetzt konsequent auf diese Patientengruppe ausgeweitet werden – ein „moralisches Gebot“, wie sie es nennt. Der Artikel enthält keine Übertreibung, sondern beschreibt einen akuten Missstand, den Studien und Berichte aus Fachkreisen längst bestätigen.

 

Faktenlage: Long Covid bei Kindern ist real – und häufig 

Long Covid bezeichnet Symptome, die mehr als zwölf Wochen nach einer SARS-CoV-2-Infektion bestehen bleiben und nicht anderweitig erklärbar sind. Bereits im Januar 2022 berichtete die BMJ-Studie „Long covid – an update for primary care“ über hunderte betroffene Kinder, die über Monate hinweg unter Erschöpfung, Konzentrationsproblemen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Atemnot litten.

 

Auch die UK Office for National Statistics (ONS) schätzte im Mai 2023, dass etwa 74.000 Kinder im Vereinigten Königreich an langanhaltenden Symptomen litten. Deutsche Studien wie die KIGGS-Studie des Robert Koch-Instituts oder das Long-COVID-Kinderregister der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) stützen ähnliche Annahmen: Zwar ist Long Covid bei Kindern seltener als bei Erwachsenen, aber keineswegs vernachlässigbar – insbesondere in Bezug auf die psychosozialen Auswirkungen.

 

Systemisches Versagen: Keine klaren Behandlungswege, mangelnde Anerkennung 

Collins kritisiert besonders die Unsicherheit im britischen Gesundheitssystem. Zwar existieren 15 spezialisierte Long-Covid-Zentren für Kinder in England, doch der Zugang ist lückenhaft. In manchen Regionen – wie etwa in Collins’ Wahlkreis – wurden diese Angebote sogar ganz eingestellt. Familien berichten laut Collins übereinstimmend, dass sie weder von Schulen noch vom Gesundheitspersonal ernst genommen werden. In Deutschland sehen sich betroffene Familien ähnlich oft mit Ablehnung oder Unwissen konfrontiert.

 

Hinzu kommt: Die medizinische Forschung hinkt hinterher. Bislang gibt es keine standardisierte Therapie. Wichtige Daten fehlen, insbesondere zu Prävalenz, Risikofaktoren und Langzeitfolgen bei Kindern. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) forderte wiederholt gezielte Studien und angemessene Versorgungsstrukturen – doch politische Priorität genießt das Thema bislang kaum.

 

Kritische Einschätzung: Die Jugend wird geopfert – für politische Bequemlichkeit 

Collins’ Appell verdient breite Aufmerksamkeit. Long Covid bei Kindern ist kein Randthema, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung mit langfristigen Folgen: eingeschränkte Bildungslaufbahnen, soziale Isolation, psychische Belastungen. Kinder, die wegen Schmerzen, Erschöpfung oder kognitiver Einschränkungen nur stundenweise zur Schule gehen können, verlieren nicht nur Wissen – sie verlieren soziale Bindungen, Selbstvertrauen und Teilhabe. Dies kann sich über Jahre hinweg negativ auf ihre Entwicklung auswirken.

 

Dass Angebote in Großbritannien jetzt gekürzt werden, während die Erkrankung weiter besteht, ist eine fatale Entwicklung – vergleichbar mit Tendenzen auch in anderen Ländern. Eine Regierung, die ernsthaft Kinder schützen will, darf ihre gesundheitliche Zukunft nicht dem Zufall überlassen.

 

Forderungen, die gelten müssen

Victoria Collins’ Forderungen sind auch in Deutschland hochrelevant:

  • Mehr Forschung zu Long Covid im Kindesalter mit Altersdifferenzierung
  • Verbindliche Leitlinien für Kinderärzt:innen, Hausärzt:innen und Schulpersonal
  • Spezialisierte Anlaufstellen in erreichbarer Nähe für betroffene Familien
  • Ein zentrales Long-Covid-Register, um Behandlungen und Forschung zu koordinieren
  • Kindgerechte Behandlungskonzepte, auch psychologisch

Dass eine Zwölfjährige wie Anna um Verständnis bitten muss, ist beschämend – für Gesundheitssysteme in ganz Europa.

 

Der Umgang mit Long Covid bei Kindern ist ein Prüfstein dafür, wie ernst eine Gesellschaft die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Jüngsten nimmt. Victoria Collins hat recht: Es ist eine moralische Verpflichtung, diesen Kindern zuzuhören, ihre Situation zu erfassen – und vor allem zu handeln.


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