
DMZ – POLITIK ¦ Sarah Koller ¦
Bern. Das Bundesgericht hat am Mittwoch ein Urteil gefällt, das über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung hat: Die geplante Ausweitung des Insektizids Tefluthrin ist vorerst gestoppt. Die Richter gaben einer Beschwerde von Greenpeace teilweise statt – und zwangen damit das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zu einer neuen Risikobewertung. Besonders im Fokus: die Auswirkungen auf Wasserorganismen und nützliche Insekten.
Tefluthrin – Nervengift mit Nebenwirkungen
Tefluthrin gehört zur Gruppe der Pyrethroide – also synthetischer Insektengifte, die sich an natürlichen Vorbildern orientieren. Ihre Wirkung ist hochpotent: Bereits kleinste Mengen genügen, um das Nervensystem von Insekten aus dem Takt zu bringen. Die Folge: Lähmungen, Tod. Genau deshalb wird Tefluthrin in der Landwirtschaft geschätzt – bislang allerdings nur bei Zuckerrüben und Futterrüben.
Doch wo Wirkung ist, ist oft auch Nebenwirkung. Tefluthrin trifft nicht nur Schädlinge, sondern auch Wildbienen, Laufkäfer – und Wasserorganismen, wenn das Gift über Drainageleitungen in umliegende Bäche gelangt. Studien warnen schon länger davor, dass Pyrethroide die Artenvielfalt auf Feldern und in Gewässern spürbar reduzieren können – teils dauerhaft.
Was genau das Bundesgericht beanstandet
Ausgangspunkt des Falls war ein Gesuch von Syngenta Agro AG. Die Firma hatte 2020 beantragt, Tefluthrin für weitere Pflanzenkulturen zuzulassen. Das Bundesamt für Landwirtschaft genehmigte dies, das BLV übernahm die Bewilligung – Greenpeace focht sie an. Das Bundesverwaltungsgericht sah zunächst keinen Grund zur Beanstandung, doch das Bundesgericht entschied nun anders: Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei in zentralen Punkten mangelhaft gewesen.
Konkret rügten die Richter, dass das Risiko für Gewässerorganismen – etwa durch Auswaschung via Drainagerohre – nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Und auch die sogenannte „Erholungsthese“, wonach sich betroffene Insektenpopulationen innerhalb eines Jahres von Pestizidbelastungen erholen könnten, wurde hinterfragt. Der pauschale Verweis auf diese Annahme genüge nicht, so das Gericht – es brauche eine Einzelfallprüfung, ob eine solche Erholung tatsächlich möglich sei, etwa durch räumliche oder zeitliche Begrenzung der Anwendung.
Mehr als ein Einzelfall
Der Entscheid hat Signalwirkung – nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für den Umgang mit Umweltrecht im Allgemeinen. Er stellt die bisherige Praxis der Zulassungsbehörden infrage und verlangt eine differenziertere, strengere Risikobewertung. Das betrifft nicht nur das BLV, sondern auch künftige Zulassungsverfahren für andere Pestizide und chemische Wirkstoffe.
Für Umweltorganisationen wie Greenpeace ist das Urteil ein Meilenstein. Ohne das Verbandsbeschwerderecht, so argumentiert die Organisation, wäre eine juristische Überprüfung überhaupt nicht möglich gewesen. „Gerade in ökologisch sensiblen Bereichen brauchen wir diese Kontrolle“, heisst es in einer Stellungnahme.
Pestizidpolitik im Prüfstand
Dass das Urteil über den konkreten Fall hinausweist, zeigt auch der politische Kontext. Während der Bundesrat öffentlich beteuert, Umweltziele stärker in der Landwirtschaft zu verankern, offenbart der Fall Tefluthrin Schwächen bei der behördlichen Umsetzung. Insbesondere das BLV gerät in die Kritik: Die Richter zwingen es, nicht nur nachzubessern, sondern grundsätzlicher zu prüfen.
Bleibt die Frage, wie es weitergeht. Wird das Mittel in Zukunft für weitere Kulturen zugelassen – unter strikteren Bedingungen? Oder wird die Risikobewertung so ausfallen, dass es bei den bisherigen Einsatzbereichen bleibt? Offen ist auch, ob andere Pestizidzulassungen nun nachträglich unter die Lupe genommen werden.
Klar ist: Das Urteil bringt Bewegung in die Debatte über Pestizide – und über die Rolle des Staates beim Schutz der Biodiversität.
Hinweis: Die Informationen in diesem Artikel basieren auf offiziellen Urteilsunterlagen und wurden mit unabhängigen Fachquellen verifiziert. Der Text stellt keine Rechtsberatung dar, sondern dient der verständlichen und faktenbasierten Information über den Entscheid und seine Tragweite.
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