
DMZ – POLITIK ¦ Sarah Koller ¦
Berlin/Brüssel – Deutschlands neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sieht sich nur wenige Wochen nach Amtsantritt mit Widerstand aus Brüssel konfrontiert. Ihr ambitionierter Plan, kurzfristig Ausschreibungen für den Bau von bis zu 20 Gigawatt neuer Gaskraftwerke auf den Weg zu bringen, stößt auf Vorbehalte in der EU-Kommission. Nach einem Gespräch mit EU-Vizekommissionschefin Teresa Ribera zeichnet sich ab: Die europäische Linie zur Energie- und Wettbewerbspolitik könnte Reiches Vorhaben erheblich bremsen.
Reiche hatte sich rasche Fortschritte bei der Absicherung der Stromversorgung in Deutschland erhofft. Ihre Strategie sieht Gaskraftwerke als notwendige Reserve für den Fall vor, dass erneuerbare Energien temporär nicht ausreichend Strom liefern. Doch ein konstruktiver Durchbruch bei ihrem Treffen mit Ribera, die in der Kommission für den grünen Umbau der europäischen Wirtschaft und faire Wettbewerbsbedingungen zuständig ist, blieb aus.
Zwar wurde das Treffen im Ministerium als „Kennenlernen“ deklariert, intern hatte man jedoch auf konkretere Ergebnisse gehofft. Insidern zufolge sollte möglichst früh ein tragfähiger Rahmen mit Brüssel gefunden werden, um zügig mit den Ausschreibungen beginnen zu können. Daraus wurde vorerst nichts. Ribera äußerte sich nach dem Treffen betont diplomatisch und betonte die Notwendigkeit europäischer Einigkeit, ohne auf Reiches Vorschläge konkret einzugehen.
Zweifel an Vereinbarkeit mit EU-Vorgaben
Aus Sicht der EU-Kommission ist der deutsche Vorstoß problematisch. Nach europäischem Beihilferecht dürfen Staaten neue Kraftwerke nur dann staatlich fördern, wenn sie ihren tatsächlichen Bedarf nachweisen und dabei technologieneutral vorgehen. Reiches Plan erfüllt laut Brüsseler Einschätzung bislang keines dieser beiden Kriterien.
Bereits Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) hatte intensive Verhandlungen mit der Kommission führen müssen, um für sein damaliges Vorhaben grünes Licht zu erhalten. Der mühsam erzielte Kompromiss aus dem Jahr 2024 sah lediglich fünf Gigawatt an neuen Gaskraftwerken ohne Auflagen vor – weitere fünf Gigawatt durften nur gebaut werden, wenn sie binnen acht Jahren auf Wasserstoff umgerüstet werden. Zusätzlich sollten 0,5 Gigawatt sofort wasserstofffähig sein und zwei Gigawatt bestehende Kraftwerke entsprechend umgerüstet werden.
Diese Lösung akzeptierte Brüssel nur deshalb, weil Teile der Maßnahmen unter die Dekarbonisierung fielen und daher anderen rechtlichen Vorgaben unterlagen. Das neue Konzept der schwarz-roten Koalition jedoch verzichtet in seiner jetzigen Form auf klare Umrüstungsfristen und dehnt das Gesamtvolumen auf das Vierfache aus – ein Schritt, der in Unternehmenskreisen und in der EU-Verwaltung für Irritation sorgt.
Technologieoffenheit statt fossiler Fixierung
Um den EU-Anforderungen gerecht zu werden, hofft die Bundesregierung offenbar, neue Gaskraftwerke mit CO₂-Abscheidungstechnologien (CCS) auszustatten. Diese gelten in Brüssel als Beitrag zur Dekarbonisierung. Doch in der Praxis gilt CCS vielen Expertinnen und Experten als teuer, wenig ausgereift und nur begrenzt einsetzbar. In der Branche bezweifelt man, dass Unternehmen solche Anlagen ohne massive staatliche Förderung errichten würden. Das würde wiederum hohe Kosten für den Staat und damit für die Steuerzahler nach sich ziehen.
Auch zeitlich steht die Bundesregierung unter Druck. Zahlreiche bestehende Kraftwerke gehen im Zuge der Energiewende in den kommenden Jahren vom Netz. Der Bau neuer Gaskraftwerke dauert im Schnitt vier bis sechs Jahre – Verzögerungen durch langwierige Gespräche mit Brüssel könnten die Versorgungssicherheit gefährden.
Appelle zur Besonnenheit
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mahnt zur Realpolitik. Reiche solle sich am bereits verhandelten Kompromiss der Vorgängerregierung orientieren, heißt es in einer Mitteilung. Ein möglichst reibungsloser Anschluss an bestehende EU-Verabredungen könnte nicht nur Zeit sparen, sondern auch unnötige politische Spannungen vermeiden.
Der Widerstand aus Brüssel dürfte damit erst der Anfang sein. Wie die Bundesregierung künftig die Interessen nationaler Energiepolitik mit europäischen Rechtsrahmen in Einklang bringen will, bleibt offen. Klar ist jedoch: Ohne eine realistische und kohärente Strategie droht Reiches Vorhaben, zum Bumerang zu werden – sowohl politisch als auch wirtschaftlich.
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