
DMZ – WISSENSCHAFT ¦ MM ¦ AA ¦
Villigen – In einem international beachteten Experiment hat ein Forschungsteam unter der Leitung des Paul Scherrer Instituts (PSI) den Ladungsradius des Helium-3-Kerns mit bislang unerreichter Genauigkeit bestimmt. Die im Fachjournal Science publizierte Studie markiert einen Meilenstein in der Atom- und Kernphysik – und setzt neue Standards für künftige Theorien und Experimente.
Präzision im Billionstel-Millimeter-Bereich
Mit einer ermittelten Grösse von exakt 1,97007 Femtometern – das entspricht rund einem Billiardstel Meter – liefert die Messung einen der genauesten bekannten Werte für einen Atomkern. Grundlage des Erfolgs ist die hochpräzise Laserspektroskopie an sogenanntem myonischem Helium-3, einem künstlich erzeugten Zustand, bei dem die Elektronen des Atoms durch ein rund 200-mal schwereres Myon ersetzt werden.
„Das Myon sitzt deutlich näher am Kern als ein Elektron“, erklärt PSI-Forscher und ETH-Professor Aldo Antognini, der das Experiment leitete. „Das ermöglicht uns eine viel genauere Bestimmung des Ladungsradius.“ Dieser Radius beschreibt die Ausdehnung der positiven Ladung im Atomkern und ist ein zentraler Parameter in der Kernphysik.
Weltweit einzigartige Infrastruktur
Ermöglicht wurde das Experiment durch die Protonenbeschleuniger-Anlage des PSI, die weltweit einzige Einrichtung, die langsam genug bewegte, negativ geladene Myonen in grosser Zahl erzeugen kann. Rund 500 Myonen pro Sekunde mit den für das Experiment nötigen Energieparametern standen zur Verfügung – eine technische Leistung, die international ihresgleichen sucht.
Zudem entwickelte das Team ein eigenes Lasersystem, das exakt im richtigen Moment einen Lichtpuls aussendet, sobald ein Myon in die Versuchskammer eintritt. Wird mit der Laserfrequenz die atomare Resonanz eines Übergangs exakt getroffen, sendet das Myon ein Röntgenphoton aus. Die Frequenz dieser Emission erlaubt Rückschlüsse auf den Kernradius – mit bisher unerreichter Genauigkeit.
Kein einmaliger Glückstreffer
Antognini ist kein Neuling auf diesem Gebiet. Bereits frühere Experimente mit myonischem Wasserstoff hatten zu kontrovers diskutierten, später jedoch bestätigten Ergebnissen geführt. Anders als damals stimmen die neuen Resultate von Helium-3 nun mit klassischen Messungen weitgehend überein – bei etwa 15-fach höherer Präzision.
„Die grosse Überraschung ist diesmal ausgeblieben, aber die Bedeutung bleibt enorm“, sagt Antognini. Die Messwerte liefern nicht nur eine neue Referenz für experimentelle Methoden, sondern auch einen harten Test für theoretische Modelle.
Impulse für das Standardmodell
Die gewonnenen Daten sind insbesondere für sogenannte ab-initio-Theorien bedeutsam – physikalische Modelle, die Systeme wie Atomkerne direkt aus den Grundgesetzen berechnen, ohne empirische Eingaben. Zudem ermöglichen die präzisen Radienvergleiche zwischen myonischen und herkömmlichen Helium-Atomen eine tiefgreifende Überprüfung der Quantenelektrodynamik (QED), der Theorie der elektromagnetischen Wechselwirkung. Im Idealfall könnten sie sogar Hinweise auf physikalische Phänomene jenseits des bekannten Standardmodells liefern.
Forschung geht weiter
Auch wenn mit der Vermessung von Helium-3 die Serie der leichten myonischen Atome abgeschlossen ist – die Forschung steht nicht still. Gruppen in Amsterdam, Garching, China sowie an der ETH Zürich arbeiten bereits an Folgeexperimenten. Am PSI bereitet Antognini mit seinem Team derzeit ein weiteres anspruchsvolles Vorhaben vor: die Untersuchung sogenannter Hyperfeinaufspaltungen in myonischem Wasserstoff und später in myonischem Helium. Diese Übergänge sind besonders empfindlich gegenüber den inneren Eigenschaften des Atomkerns und erfordern eine nochmals verbesserte Lasertechnologie – an deren Entwicklung bereits gearbeitet wird.
Hintergrund: Das Paul Scherrer Institut PSI
Das PSI ist das grösste Forschungsinstitut der Schweiz und betreibt einzigartige Grossanlagen für die nationale und internationale Wissenschaftsgemeinde. Schwerpunkte der Forschung sind Energietechnologien, Gesundheit, Klima und Grundlagenphysik. Mit rund 2’300 Mitarbeitenden und einem Jahresbudget von etwa 460 Millionen Franken ist das PSI Teil des ETH-Bereichs, zu dem auch die ETH Zürich, die EPFL sowie die Institute Eawag, Empa und WSL gehören.
Originalpublikation:
The helion charge radius from laser spectroscopy of muonic helium-3 ions,
Karsten Schuhmann et al., Science, 22.05.2025
Fehler- und Korrekturhinweise
Wenn Sie einen Fehler entdecken, der Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollte, teilen Sie ihn uns bitte mit, indem Sie an intern@mittellaendische.ch schreiben. Wir sind bestrebt, eventuelle Fehler zeitnah zu korrigieren, und Ihre Mitarbeit erleichtert uns diesen Prozess erheblich. Bitte geben Sie in Ihrer E-Mail die folgenden Informationen sachlich an:
- Ort des Fehlers: Geben Sie uns die genaue URL/Webadresse an, unter der Sie den Fehler gefunden haben.
- Beschreibung des Fehlers: Teilen Sie uns bitte präzise mit, welche Angaben oder Textpassagen Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollten und auf welche Weise. Wir sind offen für Ihre sinnvollen Vorschläge.
- Belege: Idealerweise fügen Sie Ihrer Nachricht Belege für Ihre Aussagen hinzu, wie beispielsweise Webadressen. Das erleichtert es uns, Ihre Fehler- oder Korrekturhinweise zu überprüfen und die Korrektur möglichst schnell durchzuführen.
Wir prüfen eingegangene Fehler- und Korrekturhinweise so schnell wie möglich. Vielen Dank für Ihr konstruktives Feedback!
Unterstützen Sie uns jetzt!
Seit unserer Gründung steht die DMZ für freien Zugang zu Informationen für alle – das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir möchten, dass jeder Mensch kostenlos faktenbasierte Nachrichten erhält, und zwar wertfrei und ohne störende Unterbrechungen.
Unser Ziel ist es, engagierten und qualitativ hochwertigen Journalismus anzubieten, der für alle frei zugänglich ist, ohne Paywall. Gerade in dieser Zeit der Desinformation und sozialen Medien ist es entscheidend, dass seriöse, faktenbasierte und wissenschaftliche Informationen und Analysen für jedermann verfügbar sind.
Unsere Leserinnen und Leser machen uns besonders. Nur dank Ihnen, unserer Leserschaft, existiert die DMZ. Sie sind unser größter Schatz.
Sie wissen, dass guter Journalismus nicht von selbst entsteht, und dafür sind wir sehr dankbar. Um auch in Zukunft unabhängigen Journalismus anbieten zu können, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen.
Setzen Sie ein starkes Zeichen für die DMZ und die Zukunft unseres Journalismus. Schon mit einem Beitrag von 5 Euro können Sie einen Unterschied machen und dazu beitragen, dass wir weiterhin frei berichten können.
Jeder Beitrag zählt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!
Kommentar schreiben