
DMZ - KOLUMNE ¦ Matthias Walter
Die Bundesliga hat mal wieder geliefert – Dramatik, Tore und jede Menge Gesprächsstoff! Zeit für einen Saisonrückblick, der die Leidenschaft für den deutschen Fußball einfängt. Also, zurücklehnen und rein in den Plausch mit Egert und Walter!
Walter: Lieber Andreas – wird mal wieder Zeit, über die schönste Nebensache der Welt zu plaudern. Wir haben reichlich zu besprechen: Bundesliga-Rückblick ist angesagt! Meine ersten Highlights sind Nuri Sahin und Vincent Kompany – beide mit sehr unterschiedlichen Verläufen und Erfolgen. Ein Novum... die beiden erfolgreichsten deutschen Mannschaften „experimentieren“ mit sehr jungen Trainern. Mutig... oder?
Egert: Mutig, bei Kompany auch aus der Not, bei Sahin mit Überzeugung, und das Ergebnis ist genau andersherum: Die Notlösung wird immerhin Meister, eine Zeit lang war das immer zu wenig an der Isar. Und Sahin scheitert, für mich überraschend, recht kläglich. Ich habe aber auch nicht verstanden, warum Terzic gehen musste. Kovac hatte auch das nötige Glück am Ende.
Walter: Laut Eberl stand Kompany ja mit auf der Liste, aber ja, er war sicherlich nicht allererste Wahl, das dürfte jedem bekannt sein. Mir hat Kompany in vielerlei Hinsicht sehr imponiert: einmal diese ruhige, souveräne, fast stoische Ausstrahlung und Aura. Und dann dieser sehr mutige, hyperaggressive, ja fast megalomanische Spielstil – sieben bis acht Männer stürmen geplant und durchaus fein orchestriert gen gegnerischem Sechzehner.
Das hat ja bekanntlich am Anfang zu einigen Problemen in der Absicherung hinten geführt, was nicht verwunderlich ist. Auch Weltklasse-Spieler, die teils auch erst neu zusammengekommen sind, müssen sich nicht nur in Bezug auf ihre neuen Mitspieler formieren, sie müssen auch erstmal ein neues Spielkonzept verinnerlichen und perfektionieren. Da zerbricht auch etwas Porzellan, alles andere wäre ja fast angsteinflößend. Zudem ist Kompany auch auf den Pressekonferenzen und generell in seinen öffentlichen Auftritten angenehm aufgefallen. Wie schon zu seiner Spielerzeit: Der Mann erledigt hochprofessionell, motiviert und gradlinig seinen Job. Zu Sahin: Du sagst überraschend. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage: mit Ansage. Sahin war für mich ein genialer Spieler, der Spielwitz hatte, der technisch sehr versiert war, ein intelligenter Typ, das soll auch nichts gegen Nuri sein. Aber als Trainer brauchst du mehr. Sahin ist eher, zumindest noch, einer für den Hintergrund, ein gewisser Mastermind, der analysiert und seine Erfahrung gewinnbringend hinzufügen kann (das hatte er ja auch zuvor schon gemacht). Aber er ist insgesamt meiner Ansicht nach noch zu jugendlich, das hat man auch auf den PKs gemerkt. Darüber hinaus ist er als Spieler – im Gegensatz zu Kompany übrigens – auf absolutem Weltklasseniveau gescheitert, was keine Hauptrolle spielt.
Ein Trainer-Schwergewicht wie Klopp (Top-5-Trainer aller Zeiten?) musste jetzt auch nicht bei Real und ManU spielen, um ein Trainerstar und Taktikfuchs zu werden. Aber er ist eben ein ganz anderer Mensch. Ein Trainer braucht eine authentische Autorität. Es schadet nicht, wenn er zur Vaterfigur taugt. Welche Faktoren und Aspekte zusammen in Summe den Ausschlag geben, warum ein Projekt scheitert, kann nicht immer exakt von außen festgestellt werden. Es spielen ja auch noch so Aspekte wie Glück und Timing eine Rolle. Der BVB war unter Sahin aber stets unkonstant, erratisch, im Schlingerkurs halt. Ich hätte Terzic auch eher gehalten, außer du bekommst einen Klopp zurück oder dergleichen. Terzic hat man es aber von diversen Seiten nicht verziehen, wie man am letzten Spieltag gegen Mainz den Sack nicht zumachen konnte. Ein Taktikgenie war auch er meines Erachtens. Die erste Halbzeit gegen Real Madrid im Champions-League-Finale war allererste Sahne. Zu Kovac: ein Glücksgriff. Der Mann hat unfassbar viel Erfahrung, viel vorzuweisen (siehe Bayern und Frankfurt) und ist, glaube ich, ein richtiger Disziplinfreak. Dortmund liegt ihm momentan zu Füßen. Was hat er gerettet, was hat er noch rausgeholt...
Egert: Was macht gute Trainer aus? Gute Frage. Menschenfängerei ist ein wichtiges Kriterium, zu allen Zeiten. Das war auch Klopps große Stärke. Fußballer sind selten Intellektuelle, eine Gruppe leiten und anleiten zu können ist eine besondere Qualität, neben den fachlichen Voraussetzungen. Was mich heuer etwas stört, ist die zu große Macht der Trainer, oft sind die Spieler zu angepasst und zu wenig mündig, das ist auch eine Frage des Zeitgeistes. In den 70er Jahren zum Beispiel war der Fußball weniger schematisch, freier, aber auch weniger athletisch und berechenbar. Menotti als Trainer und Cruyff oder Beckenbauer als Spieler waren hier stilprägend. Sicher auch eine Frage des Geschmacks und der Fußballkultur. Heute leidet die Qualität auch an zu vielen Spielen, zu hohen Gehältern, zu vielen Wettbewerben. Dennoch hat auch unser zeitgenössischer Fußball seinen Charme und Reiz, weil er als unberechenbares Spiel und als Sport sich nicht gänzlich von den Kriterien der Unterhaltungsindustrie deformieren lässt. Trainer sind immer auch Hochstapler, weil sie an Ergebnissen gemessen werden, die sie nur bedingt beeinflussen können.
Walter: Sehr interessant, Andreas. Es fallen wieder Namen, die ich noch gar nicht kannte. Das nenne ich Bundesliga-Geschichte. Am 4. Spieltag hauen die Leverkusener die Bayern mit 3:0 aus dem Stadion, und Fußball-Deutschland denkt: Alonso, Wirtz (der schon früh in Galaform war – zahlreiche Assists) und Co. werden die Schale verteidigen. Favorit war sicherlich wieder Bayern, bei denen aber in der frühen bis mittleren Saisonphase – trotz einem Harry Kane, der sich mal wieder in Topform präsentierte – so eine Art Panik ausgebrochen ist. Ich erinnere dazu an die TV-Diskussion zwischen Michael Ballack und Thomas Müller. Es ging um den sehr aggressiven Spielansatz von Kompany. Das ging in Frankfurt auch ordentlich in die Hose.
Wie ist denn deine Meinung zu der Strategie des erfahrenen Kompany? Und wie hat er es in deinen Augen dann fortlaufend, auch mit Blick auf die Champions League, angepasst?
Egert: Nun, in der Champions League hat es ja gerade nicht gereicht, die Vorrunde war eher schwach, und gegen Inter haben zuerst wichtige Spieler wie Musiala, Davies und Upamecano gefehlt, und trotzdem war es eng. Ein bisschen Harakiri war aber oft genug dabei bei den Bayern, ähnlich wie bei Barcelona, obwohl Kompany, früher ja selbst Abwehrspieler, zuerst seine Defensiv-Cracks gestärkt hat, und die ja auch bärenstark waren, abgesehen von einigen Aussetzern, vor allem bei Kim. Die Ausgewogenheit im Team war besser als letzte Saison, aber nicht gut genug, auch wenn die Meisterschaft verdient war. Sehr offensive Ausrichtung, aber zu wenig Effizienz.
Walter: Ich dachte eigentlich auch, dass Kim der Unsicherheitsfaktor bei Bayern wäre, und wohl auch nicht flächendeckend beliebt bei den Fans. Aber ich heiße nicht Kompany, und ihm scheint ja etwas an jenem Kim gelegen zu haben. Aber mal zu den Borussen: Die gelbe Wand demonstriert früh gegen steigende Ticketpreise. Wie siehst du das? Und insgesamt: Das ist ja teilweise nicht mehr nur Kommerzialisierung (was ja in Maßen normal und „notwendig“ ist), sondern schon Haifischkapitalismus, Stichwort Scheichs und die Premier League, aber ich will jetzt nicht zu sehr abschweifen. Unser deutscher „Klassiker“ brachte ein 3:3 ein. Sahin hat ja auch beachtliche Zwischenerfolge verzeichnen können. Insbesondere in der Champions League, aber auch mal in der Bundesliga, beispielsweise gegen Leipzig, wo er sich als Taktikfuchs – er verwies auf die bzw. seine Tuchelschule – präsentieren konnte. Er paukte laut eigenen Angaben nächtelang alte Kladden durch, eben aus der Tuchelzeit, der er viel zu verdanken hat, besonders im Hinblick auf anpassbare Strategien. Du sagtest ja in diesem Zusammenhang eingangs „überraschend“. Wo drückte denn „exakt“ der Schuh? Hat das Team Sahin vielleicht nicht ernst genommen, waren sie zu unmotiviert, zu satt? Oder war es einfach nur kein echtes Team, nur ein Konglomerat von sehr guten Bundesligaspielern, gespickt mit internationalen Stars?
Egert: Kim hatte ja auch sehr gute Spiele, keine Frage. Und zur Borussia: So nah am BVB bin ich nicht dran, das können andere besser beurteilen. Die Einkäufe mit Anton und Guirassy haben dem VfB jedenfalls sehr wehgetan, und hintenraus haben sich die Neuen bewährt. Und an den Trainernamen sieht man freilich, dass ich noch ein wenig im 20. Jahrhundert stecken geblieben bin.
Walter: Du, sag mal: Geht dir eigentlich dieser VAR-Beweis auch so mächtig auf den Zwirn? Ich sage nur Leverkusen vs. Gladbach... Ich sehne mich etwas nach der alten Zeit, mehr Spielfluss, weniger Unterbrechungen, aber das ist ja nur eine Perspektive. Ich kann auch die Gegenposition verstehen: Es geht um authentische Ergebnisse und um viel Geld. Kann sich ja jeder weiterdenken. Übrigens: Die Torjäger mit dem Potential zur Weltklasse hießen dann zunächst Victor Boniface und Loïs Openda. Wäre schön, wenn die Bundesliga eines Tages ihre Hochkaräter langfristig halten könnte. Die Probleme sind natürlich, allgemein und weiter gefasst, dass wir hier zu wenige Weltstädte haben, das Spektakel, der Glamour, die Größe fehlen. Und natürlich das gewaltige Kapital, da wären wir wieder bei TV-Geldern. Das sind auch leider die Probleme von Dortmund. Eine sehr schöne Stadt, aber eben keine von Weltformat. Und man kann finanziell eben nicht mit PSG, Real und Co. Schritt halten. Wie auch? Allerdings: Die Zuschauerzahlen stiegen um circa 5 %. Die Marke Bundesliga ist noch am Wachsen. Sehr erfreulich!
Egert: Zum VAR: Die Illusion des technischen Fortschritts als ein vermessener Zeitgeist, es wird immer Interpretationen und Ungerechtigkeiten geben, allein beim Handspiel. Die langen Pausen nerven, manch grober Fehler wird dem Schiri abgenommen, das ist noch das Beste beim VAR. Also, ich freue mich auch über die Bundesliga, früher hatte ich die anderen europäischen Ligen noch besser im Visier, aber das Interesse hat etwas nachgelassen, Ausnahme ist der Europapokal, den halte ich für eine geniale Idee, aus Frankreich übrigens. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass in Deutschland der Fußball quer über alle gesellschaftlichen Schichten derart anerkannt ist. Das ist in Frankreich und England etwas anders. Die deutschen Stadien sind demnach voller als alle anderen, selbst in Liga 2. Bisweilen sind mir die Fans etwas zu unkritisch, feiern sich oft genug lieber selbst, aber andererseits ist diese Wucht der Fans schon beeindruckend: Und die Fernsehgelder sind schon okay, nur England ist da enteilt. Mit den Investoren ist es schwierig, man weiß da in Deutschland nicht, was man will, als ob man das Rad der Kommerzialisierung an dieser Stelle stoppen könnte.
Deutschland ist eine gute Spielwiese für Talente, Dortmund, Frankfurt international, Freiburg und Mainz eher national, und viele andere machen das schon ganz gut – wenn auch Frankreich und Spanien vor England die beste Ausbildungsarbeit machen. Wenn dann viele weggehen, außer bei den Bayern, dann kann man das schon verkraften. In Paris ist Fußball eher eine Nische, Dortmund ist hier eher Fußball-Metropole.
Walter: Ich will mal den Bogen zu den Leipzigern spannen: Man hat die letzten Monate/Jahre einige hochkarätige Spieler verloren, ein deutlicher Umbruch, eine Zäsur. Gvardiol, Szoboszlai, Martínez, Forsberg, Angeliño, Halstenberg und insbesondere den großartigen, meiner Auffassung nach Weltklassemann, Dani Olmo (siehe auch seine großartige Rolle bei der EM). Und dann ist, als potenziell gleichwertiger Ersatz, der hochtalentierte Xavi Simons, der wirklich sämtliche Anlagen mitbringt, die es für den Weltklasse-Fußball benötigt, dazugestoßen, der aber, vielleicht auch aus systemischen Gründen, den grandiosen Spanier nicht ersetzen konnte. Zudem die Trainerkrise bei Red Bull. Auch der Head of Soccer Jürgen Klopp, jüngst installiert, wird nicht begeistert sein und gerät zunehmend ins Kreuzfeuer.
Es brodelt bei den Bullen. Andere Neuzugänge, die punktuell brillieren konnten (Sesko, Openda etc.), konnten den Leipzigern nicht in der Gestalt helfen, dass man mit den anderen mithalten konnte. Sogar die Frankfurter, wir reden gleich drüber, die Freiburger und, sehr überraschend, die Mainzer musste man passieren lassen. Du bist da viel tiefer drin als ich. Wie siehst du diese Gemengelage?
Egert: Dani Olmo, ja, Klassespieler, der über Kroatien nach Leipzig zurück nach Spanien kam und schmerzlich vermisst wird. Leipzig und auch Stuttgart sind sicher besser besetzt als Freiburg und Mainz, haben aber zu wenig konstant gespielt. Beide waren ja wenigstens in der Champions-League-Vorrunde und lange im Pokal dabei. Auch Mainz und Freiburg hatten ja Durchhänger, aber am Ende einen guten Spirit. Leipzig war ja fast immer im Europapokal, das kann nicht immer gelingen, Rose war etwas unglücklich, der neue Trainer hat viel Arbeit, aber am Kleingeld wird es nicht liegen. Schlager ist immens wichtig für Leipzig, das Gerüst steht eigentlich. Die Eintracht hätte ja fast noch alles verspielt. Aber dank Lienharts Patzer hat es doch noch gereicht. Insgesamt aber verdient. Aber die Champions League scheint mir dann doch eine Nummer zu groß.
Walter: Der HSV ist wieder erstklassig! Da gehören sie auch hin, freut mich sehr! Traditionsreich und durchaus eine Weltstadt.
Egert: Zum HSV: Der Charme der 2. Bundesliga liegt in der Ausgeglichenheit, den Traditionsvereinen und den vielen Zuschauern. Keine 3-4-Klassengesellschaft wie in Liga 1, fast alles ist möglich, die Hälfte kann aufsteigen, die andere Hälfte absteigen, mindestens. Nach sieben Jahren fiel das Los also auf die Rothosen – nach so vielen 4. Plätzen, einer Relegation. Irgendwie verdient, mit dem x-ten Trainer, wie Terzic aus der Fan-Kurve. Ob das aber reicht für Liga 1, ist eine andere Frage. St. Pauli ist erstmal die Messlatte.
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So, Andreas, das war doch ein richtig runder Rückblick! Bis zum nächsten Mal, wenn wir wieder die Fußballwelt auseinandernehmen – vielleicht mit ’nem kühlen Getränk in der Hand und einer neuen Runde Taktikgeplauder!
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