
DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦
KOMMENTAR
Schön, wir haben einen neuen Papst. Aber er ist nicht allein. Wir haben einen neuen Papst und einen neuen Präsidenten. Denn nebst dem Amerikaner Robert Francis Prevost kann auch US-Präsident Donald Trump immer noch als «neu» gelten; eben wurden erst seine 100 Tage «gefeiert». Ist das ein Zufall?
Eher nicht. Bei jeder Doppelmoral und bei allen Verlogenheiten, bei jeder Kinderschändung, jedem Frauenmissbrauch (in Sachen Sex und Gender), die wir von der katholischen Kirche seit Jahrhunderten gewohnt sind: Hier hat sie sich von einer guten Seite gezeigt. Die These, die Wahl des Augustinermönchs aus Chicago sei die Antwort der Kurie auf den schrankenlosen Materialismus, Utilitarismus und Hedonismus unserer Zeit, die im Möchtegern-Dealmaker aus Mar-a-Lago ihre Inkarnation gefunden haben, ist nicht zu weit hergeholt. Was spricht dafür?
Nebst der ausserordentlichen Kürze des Konklaves ist es der Bildungselitarismus des Kardinalskollegiums. Sie lieben es, mit Bezügen zu spielen, deren Codes nur sie kennen. Wie ein barocker Bischof, der den Bau oder die Renovierung seines Doms in Auftrag gibt und bei der Besichtigung der Pläne dem Maler und dem Stukkateur ins Skizzenbuch schreibt: Hier bitte die Evangelisten und dort die Kirchenväter – und sich dann geistig auf die Schultern klopft, wenn er es dann schafft, die Väter der Evangelien und jene der Kirche spontan auseinander zu halten…, während das tumbe Volk nur staunend nach oben glotzt.
Denn die folgenden Bezüge sind den Prälaten vertraut wie unsereinem das kleine Einmaleins. Der Heilige Augustin von Hippo war – im fünften Jahrhundert – einer der vier Kirchenväter (nebst Ambrosius, Hieronymus und Papst Gregor I.), die in keinem Dom fehlen. Von Augustin stammt eine Reihe von Zitaten, die zu nachzuschlagen sich lohnt. Zum Beispiel: «Willst du aufstehen? Beginn mit dem Abstieg. Planst du einen Turm, der die Wolken durchdringt? Lege zuerst das Fundament der Demut.» Ob er die Trump-Türme hat kommen sehen, ist nicht überliefert. Aber es würde passen.
Augustin ist vor allem durch einen Primärtext überliefert, seine berühmten Confessiones, aber auch durch einen zeitgenössischen Brief eines Papstes. Und von welchem Papst stammt wohl dieser Brief? Richtig, von Leo I., Leo dem Grossen. Auf den im Übrigen auch die Metapher vom Pontifex maximus zurückgeht, des obersten Brückenbauers. Es ist deshalb naheliegend, über folgende verklausulierte Botschaft der Kardinäle zu spekulieren: Wir stellen dem Amerikaner Trump den Amerikaner Prevost gegenüber, mit dem Ziel, dieser möge auch politisch zum Brückenbauer werden. Umso mehr, als Prevost als Augustiner einer Kongregation angehört, die sich der Besitzentsagung verschrieben hat. The ugly american and the good, the modest, the anti-nationalist american.
Wenn auch! wird man einwenden, solche Überlegungen würden dem Gerne-noch-Grösser aus dem Weissen Haus keinen müden Scherz abringen. Das ist falsch. Obwohl Trump von einer nationalen Ehre gesprochen und sich den Satz abgerungen hat, er wolle sich bald mit Leo XIV. treffen, ist er es, der einer Begegnung mit wackligen Knien entgegensähe. Nicht wegen der Entgleisung seiner Administration, die vor zehn Tagen ein KI-gefertigtes Porträt Trumps in Papst-Montur postete. Sondern weil in den USA 80 Millionen Katholiken leben und es sich dabei nicht mehr um die Nachfolger irischer oder italienischer Einwanderer handelt, um Kennedys und Corleones, sondern um Latinos, denen Leos Wirken in Peru etwas bedeutet. Trump weiss, dass er ohne die Katholiken nie gewählt worden wäre. In wessen Lager werden sie stehen in dieser neuesten Version von Papst gegen Kaiser?
Und vergessen wir nicht die Bildersprache. Die neobarocke Versailles-Ästhetik, mit der Trump sich umgibt, die das Werk eines entgleisten Innenarchitekts des Sonnenkönigs sein könnte, macht ihn eminent anfällig. Donald Trump wird gegen die Würde des Amtes und die symbolbehaftete Aura seines Fellow Americans nicht bestehen können. Möglicherweise wird er sich beim Betreten der päpstlichen Gemächer überlegen, ob das der Moment sei für einen Gang nach Canossa? Wenn ihm bis dahin jemand erklärt haben würde, was dort geschah.
Wie gesagt, die Wahrheit ist anders. Wir dürfen getrost annehmen, dass der amerikanische Papst, der auf der Loggia des Petersdoms die USA mit keiner Silbe erwähnte, aber Peru hervorhob, Trumps Machtgeprotze und Selbstgehabe völlig unbeeindruckt lassen. Sie gehen ihm am hochheiligen Hintern vorbei. Und dass ihn die Schamlosigkeit von Trumps persönlicher Bereicherungsgeilheit anwidert.
Trump wird das Thema Migration nicht vermeiden können. Papst Leo wird ihm freundlich entgegentreten, aber ebenso bestimmt. Und für einmal wird Trump gemessen werden an seinen Worten. 80 Millionen Katholiken, deren Lebensstandard unter Trump mehrheitlich noch tiefer sinken wird, entwickeln ein gutes Gedächtnis für Versprechungen aller Art.
Eine Brücke bietet sich den Brückenbauern immerhin an: Sowohl Trump als Leo hassen den Krieg. Es gibt keinen Zweifel, dass das beim Papst – abgesehen von seinem Pflichtenheft – eine Herzensangelegenheit ist. X-mal hat er Pax und Pace in seiner Antrittsrede verwendet und wiederholt. Soweit wollen wir bei Trump nicht gehen. Aber es ist richtig, dass er keinen Krieg mag. Er kämpft um den Waffenstillstand in der Ukraine. Er schliesst Deals mit den Saudis und Syrien und lässt Netanjahu mit seiner Scharfmacherei im Regen stehen (leider nicht in Gazah). Und er hat Indien und Pakistan diktiert, dass es keine weitere Eskalation gebe. Punkt. Ob bei allem eher anvisierte Deals im Vordergrund stehen oder Menschenliebe, lassen wir freundlicherweise offen. Aber der Satz, den George W. Bush voller Beschränktheit in die Mikrophone posaunte: I’m a war president! ginge ihm nie über die Lippen.
Deals sind mit Sicherheit das kleinere Übel als Krieg. Ob das hilft beim Brückenbau?
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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.
Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.
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