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Zwischen Realitätssinn und Rückschritt – Katherina Reiche und der schwierige Neustart der Energiepolitik

Katherina Reiche ist Bundesministerin für Wirtschaft und Energie. (Foto: IMAGO/Funke Foto Services/Strauch)
Katherina Reiche ist Bundesministerin für Wirtschaft und Energie. (Foto: IMAGO/Funke Foto Services/Strauch)

DMZ – POLITIK  ¦ Anton Aeberhard ¦Katherina Reiche ist Bundesministerin für Wirtschaft und Energie. (Foto: IMAGO/Funke Foto Services/Strauch)

 

Von Beginn an lässt Katherina Reiche keinen Zweifel daran, dass sie die deutsche Energie- und Wirtschaftspolitik auf einen neuen Kurs bringen will. Ihre erste öffentliche Bestandsaufnahme als Bundeswirtschaftsministerin auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel ist eine Mischung aus Pragmatismus, industriepolitischem Kalkül – und problematischen Leerstellen.

 

Die CDU-Politikerin fordert einen beschleunigten Ausbau von Gaskraftwerken und langfristige Gasverträge – ein Vorschlag, der in der aktuellen Energiearchitektur kurzfristig plausibel wirkt. Flexible Gaskraftwerke können Lücken schließen, wenn Wind und Sonne schwächeln. Doch wer langfristige fossile Verträge abschließt, bindet Deutschland womöglich über Jahrzehnte an ein Energiesystem, das mit den Pariser Klimazielen schwer vereinbar ist. Reiche setzt hier auf ein „Sicherheitsargument“, das bislang immer dann bemüht wurde, wenn der politische Mut zum Strukturwandel fehlte.

 

Positiv ist, dass sie Systemkosten und Versorgungsfragen offen anspricht – etwas, das in der öffentlichen Debatte häufig ausgeblendet wird. Die Kosten für Netzausbau, Redispatch und die Bereithaltung konventioneller Kraftwerke gehören zur Wahrheit der Energiewende. Reiches Forderung nach einem „Monitoring“ und einem „Sich-Ehrlich-Machen“ könnte eine Chance sein, diese Transformation faktenbasiert neu zu justieren. Die Frage ist nur: Wer führt diesen Realitätscheck durch – und mit welcher Zielrichtung?

 

Die Abkehr von der Atomkraft markiert einen Bruch mit der Parteirhetorik der vergangenen Jahre. Anders als CSU-Chef Markus Söder spricht Reiche ein klares Nein zum Wiedereinstieg aus – mit dem Hinweis auf verlorenes Vertrauen und fehlenden gesellschaftlichen Konsens. Das ist richtig. Die Debatte um Laufzeitverlängerungen war im Wesentlichen symbolpolitisch. Der tatsächliche Ausstieg ist längst technisches und wirtschaftliches Faktum.

 

Problematischer sind dagegen ihre Vorstellungen zur Senkung von Strom- und Umlagenpreisen. Auch wenn Entlastung für Industrie und Haushalte ein legitimes Ziel ist, bleibt offen, wie diese Maßnahmen finanziert und innerhalb der EU umgesetzt werden sollen. Die geplante Einführung eines Industriestrompreises ist wettbewerbspolitisch umstritten – und kann langfristig Innovationsanreize konterkarieren.

 

Reiches Aussagen zu Freihandelsabkommen schließlich zeigen, dass sie die deutsche Exportwirtschaft stabilisieren will. Doch wer Handelsverträge mit Ländern wie Indien, Mexiko oder dem Mercosur-Raum forciert, muss gleichzeitig erklären, wie Umwelt- und Sozialstandards dort eingehalten werden sollen. Die Debatte um CETA und TTIP hat gezeigt, wie sensibel diese Fragen sind.

 

Katherina Reiche präsentiert sich als Krisenmanagerin, die Klartext spricht. Doch zwischen sicherheitspolitischer Rückversicherung und energiepolitischer Rückwärtsgewandtheit verläuft eine gefährliche Grenze. Der Realitätscheck darf nicht zur Rechtfertigung alter Denkweisen werden. Denn wer in der Krise die Zukunft gewinnen will, muss auch bereit sein, neue Wege zu gehen – statt sich an fossile Brücken zu klammern, die in wenigen Jahren zur Sackgasse werden.


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