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Wenn Licht aus Zahlen wächst – wie aus Bits Bilder und Töne werden

DMZ - IT ¦ Matthias Walter

Von Hochspannung und Nullpunkten, von Binärcode, Pixellicht und Klang – eine Reise in die stille Magie der modernen Informationstechnik.

 

Man stelle sich vor: Ein reiner Zahlenwert – etwa 11111111 00000000 00000000 – und daraus entsteht leuchtendes Rot auf einem Bildschirm. Oder eine andere Folge: 0101010101010101 – und sie lässt Luft in Schwingung geraten, erzeugt einen Ton. Wer dies nicht für ein Wunder hält, hat vielleicht noch nie wirklich darüber nachgedacht, wie elementar, wie naiv eigentlich alles beginnt: mit nichts als einem Spannungspegel. Hoch oder niedrig. Strom an oder aus. 1 oder 0.

 

Doch wie nur, so fragt man sich, entsteht aus diesem scheinbaren Nicht-Wissen – aus bloßer Schaltung und Stromfluss – so etwas wie Farbe, Form, Klang, ja Wirklichkeit? Dieser Essay ist eine Annäherung an die fundamentale Frage: Wie können Maschinen aus elektrischer Spannung etwas erzeugen, das wir sehen, hören, fühlen?

 

Das Binäruniversum – Ordnung durch Dualität

Moderne Computer kennen keine Farben, keine Melodien, keine Gefühle. Was sie kennen, ist die Sprache der Physik: Spannung an oder Spannung aus. Diese Zustände werden als „1“ und „0“ beschrieben. Aber es sind nicht abstrakte Zahlen – es sind echte, messbare elektrische Zustände. Eine „1“ könnte beispielsweise 5 Volt bedeuten, eine „0“ bedeutet 0 Volt. Punkt.

Diese simplen Zustände werden in Reihen geschaltet, zu sogenannten Bits. Acht Bits ergeben ein Byte, und jedes Byte kann Werte zwischen 0 und 255 annehmen. So weit, so technisch – doch hier beginnt das Staunen.

 

Von Zahlen zu Licht – wie ein Pixel entsteht

Nehmen wir einen Bildschirm. Jeder einzelne Punkt (Pixel) besteht in Wirklichkeit aus drei winzigen Leuchtelementen: einem für Rot, einem für Grün, einem für Blau – das sogenannte RGB-System. Jeder dieser Farbkanäle kann einen Wert von 0 bis 255 haben. Ein vollständig roter Pixel etwa wird mit folgender Bitfolge beschrieben:

 

Rot: 255 → 11111111

Grün: 0 → 00000000

Blau: 0 → 00000000

 

Das ergibt 24 Bits – die so in den Speicher geschrieben werden. Doch wie kommt daraus Licht?

 

Hier übernimmt ein Grafikcontroller die Regie. Er liest die Bitmuster für jeden einzelnen Pixel, synchronisiert sie mit der Position auf dem Bildschirm und sendet die Daten an sogenannte DACs – Digital-Analog-Wandler. Diese Bausteine übersetzen die digitalen Spannungswerte in analoge: Aus dem Bitmuster „255“ wird eine Spannung von z. B. 5 V. Diese Spannung wiederum steuert die Leuchtelemente des Bildschirms – die rot leuchten, während grün und blau dunkel bleiben. Der Pixel erstrahlt in purem Rot.

 

Millionen solcher Operationen geschehen jede Sekunde. Jeder Pixel erhält im exakt richtigen Moment seine Daten. Und so sehen wir – aus Nullen und Einsen geboren – ein Bild.

 

Wenn Zahlen singen – digitale Klänge und ihre Wandlung

Ein ähnliches Prinzip liegt beim Ton zugrunde. Ein digital gespeicherter Ton ist nichts weiter als eine lange Reihe von Zahlen, die die Amplitude einer Schallwelle in diskreten Momenten beschreiben – man nennt das Sampling.

 

Bei einer CD beispielsweise geschieht dies 44.100 Mal pro Sekunde, bei 16 Bit pro Sample. Eine Bitfolge wie 0101010101010101 beschreibt dabei eine ganz konkrete Höhe der Welle. Der DAC nimmt diese Zahl, übersetzt sie in eine Spannung – etwa +2 V – und sendet sie an einen Lautsprecher. Dort versetzt die Spannung die Membran in Bewegung, Luft wird komprimiert und dekomprimiert – eine Schallwelle entsteht. Und wir hören einen Ton.

 

Nicht weil der Computer Musik kennt, sondern weil seine Zahlen in Schwingungen verwandelt werden.

 

Wie „versteht“ ein Computer die Zahlen?

Ein Missverständnis gilt es auszuräumen: Maschinen „verstehen“ keine Zahlen, keine Konzepte. Ein Controller oder DAC liest kein „128“, so wie wir es auf einem Papier lesen würden. Stattdessen reagiert er auf reale elektrische Zustände auf seinen Leitungen.

 

Ein 8-Bit-Wert wie 10000000 bedeutet: auf Datenleitung D7 liegt hohe Spannung (z. B. 5 V), auf D6 bis D0 liegt 0 V. Der DAC „weiß“ – durch seine fest verdrahtete interne Schaltung –, wie daraus eine proportionale Ausgangsspannung entsteht. Kein Denken, kein Interpretieren – nur präzise gebaute Logik, gespeist aus Millionen Transistoren.

 

Diese Transistoren – sie schalten, vergleichen, addieren, übertragen – sind nichts weiter als steuerbare Stromtore. Und doch: Aus diesen einfachen Bausteinen wächst das Bild einer Welt.

 

Fazit: Aus Strom wird Sinn

Was auf den ersten Blick wie eine kalte Welt aussieht – nur Schaltungen, Spannungen, Pegel – ist in Wahrheit eine der faszinierendsten Übersetzungsleistungen, die der Mensch je geschaffen hat. Durch kluge Architektur und präzise Technik gelingt es, abstrakte Information in sensorisch erfahrbare Realität zu verwandeln.

 

Es ist, als würde man mit Taschenlampen in einem Morsecode-Ballett tanzen – und plötzlich wird daraus ein Sonnenaufgang. Oder man klopft auf ein Rohr – und eine Sinfonie erklingt. Die eigentliche Schönheit liegt in der Klarheit: Aus dem Ja und Nein, dem Strom und dem Nichts entsteht alles. Bilder. Stimmen. Erinnerungen. Gefühle.

Nicht die Maschinen erschaffen diese Welt – wir tun es, indem wir sie lehren, mit Strom zu sprechen.

 

 

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Quellen:

Andrew S. Tanenbaum: Structured Computer Organization. Pearson, 6. Auflage, 2012.

Charles Petzold: Code: The Hidden Language of Computer Hardware and Software. Microsoft Press, 2000.

Donald E. Knuth: The Art of Computer Programming, Band 1–3. Addison-Wesley, 3. Auflage, 1997.

Alan C. Kay: "The Early History of Smalltalk", ACM SIGPLAN Notices, 1981.

John von Neumann: First Draft of a Report on the EDVAC, 1945.

Brian W. Kernighan, Dennis M. Ritchie: The C Programming Language. Prentice Hall, 2. Auflage, 1988.

Ken Shirriff: How Computers Turn Numbers into Pixels, Blogartikel auf righto.com, 2021.

Michael Sipser: Introduction to the Theory of Computation. Cengage Learning, 3. Auflage, 2012.

IEEE Spectrum: How Digital-to-Analog Converters Work, 2019.

Computer History Museum: The Evolution of the Graphics Processor, Ausstellung und Archivmaterial, 2018.

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