
DMZ – POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦
Wien – Der demografische Wandel stellt Österreich vor umfassende gesellschaftliche und politische Herausforderungen. Dies wurde am Dienstagabend bei der Diskussionsveranstaltung „Demografischer Wandel in Österreich – Analyse, Herausforderungen, Antworten“ im Parlament deutlich. Unter der Schirmherrschaft von Nationalratspräsident Walter Rosenkranz diskutierten Expert:innen und politische Vertreter:innen über Ursachen, Konsequenzen und mögliche Lösungsansätze für eine der zentralen Querschnittsmaterien unserer Zeit.
Wandel mit leisen, aber tiefgreifenden Folgen
Nationalratspräsident Walter Rosenkranz betonte in seiner Eröffnungsrede, dass der demografische Wandel nicht nur beobachtet, sondern aktiv gestaltet werden müsse. Er beschrieb ihn als „Metathema“, das sämtliche Politikfelder berühre – von der Familien- über die Infrastruktur- bis zur Sozialpolitik. Dabei appellierte er an ein neues Verständnis des Alterns als Wert und nicht als Belastung: „Der Generationenvertrag lebt davon, dass jede Generation bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.“
Ein besonderer Fokus liege auf der Stärkung ländlicher Regionen, die stark von Abwanderung betroffen seien. Steuerliche Entlastungen für Familien, Förderung von Wohnraum und ein gesellschaftlicher Wandel im Umgang mit Alter und Pflege seien zentrale Bausteine einer zukunftsfähigen Politik.
Ursachenforschung und politische Konsequenzen
Die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler, zugleich Sonderbeauftragte für demografischen Wandel der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, sprach von einem „seit Jahrzehnten weggeschobenen“ Problem. Eine gestiegene Lebenserwartung, niedrige Geburtenraten und Migration hätten tiefgreifende Veränderungen angestoßen. Kugler forderte mehr Forschung, strukturelle Reformen und ein umfassendes Verständnis des Wandels als Querschnittsmaterie – etwa durch Förderung altersgerechter Arbeitsmodelle, die Attraktivierung der Pflegeberufe sowie gezielte Maßnahmen gegen Einsamkeit im Alter.
Harald Michel vom Institut für Angewandte Demographie (IFAD) in Berlin ergänzte den historischen Kontext: Der Wandel folge auf eine lange Phase der Bevölkerungsexpansion und manifestiere sich heute in einem räumlich differenzierten Nebeneinander von Schrumpfungs- und Wachstumsprozessen. Dies verlange intelligente und sektorübergreifende Anpassungsstrategien.
Der demografische Kipppunkt
Stephen Shaw, britischer Datenwissenschafter und Mitbegründer der Organisation XY Worldwide, machte auf die dramatischen Konsequenzen sinkender Geburtenraten aufmerksam. Der sogenannte birth gap sei eine „Frage des Überlebens für Nationen“. Weltweit müsse es gelingen, jungen Menschen ein Leben zu ermöglichen, das ihren Kinderwunsch nicht nur respektiert, sondern aktiv unterstützt. Denn der Kinderwunsch sei bei der Mehrheit der Frauen vorhanden – werde aber zu oft durch strukturelle Hürden ausgebremst.
Auswege aus der demografischen Krise
Im anschließenden Podiumsgespräch konkretisierten Regina Fuchs (Statistik Austria), Ingrid Korosec (Österreichischer Seniorenbund) und Edwin Schäffer (Österreichischer Integrationsfonds) zentrale Handlungsfelder. Fuchs wies auf die Notwendigkeit hin, angesichts der steigenden Lebenserwartung die Erwerbsarbeitszeit gesund zu verlängern. Gleichzeitig sei es wichtig, Bedingungen zu schaffen, unter denen Menschen das Pensionsalter überhaupt gesund erreichen könnten, ergänzte Korosec – und kritisierte eine „Reparaturmedizin“ anstelle nachhaltiger Gesundheitsvorsorge.
Auch die Integration wurde als zentrales Thema genannt. Schäffer verwies auf Fortschritte und Herausforderungen bei der Eingliederung von Migrant:innen in Bildung und Arbeitsmarkt. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er der Bedeutung frühkindlicher Bildung und forderte ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr sowie eine Aufwertung der Elementarpädagogik.
Ein weiteres zentrales Thema war der Pflegenotstand. Die gesellschaftliche und politische Geringschätzung dieses Berufsfeldes müsse überwunden werden, forderte Korosec. Schäffer ergänzte, dass Österreich zwar bereits Angebote für ausländische Pflegekräfte verbessert habe, hier aber weiteres Potenzial liege – etwa bei der Anerkennung von Qualifikationen.
Politik muss quer denken
Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler fasste in ihrem Schlusswort zusammen: Der demografische Wandel sei eine der komplexesten Herausforderungen der Gegenwart. Als Querschnittsmaterie betreffe er nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche. „Im Sinne der Zukunft unseres Landes ist eine vertiefte und kontinuierliche Auseinandersetzung unerlässlich“, erklärte sie. Der Bundesrat werde sich in weiteren Initiativen diesem Thema widmen – unter anderem bei einem Expertenforum zur Zukunft des Pensionssystems am 4. Juni.
Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦
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