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Straumanns Fokus am Wochenende - Revolutionen sind von unten. Möchtegern-Revolutionen von oben.

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

Demokratien sind entstanden durch Revolutionen von unten. Sie werden zerstört durch Revolutionen von oben. Die Beispiele sind zahlreich. Die Französische Revolution von 1789 war eine Revolution von unten mit allem, was dazu gehört: mit Massenbewegungen, Brotpreisaufständen, mit dem Sturm eines staatlichen Zeughauses und der Befreiung Gefangener («Bastille») sowie mit revolutionären Komitees, die alle Abläufe kontrollierten. 1789 war das Paradigma der Revolution schlechthin. Nachdem Frankreich einige Regierungswechsel und auch die Phantasien Napoleons überstanden hatte, kam die Reaktion am 1815 am Wiener Kongress ohne alles, was dazu gehört: keine Massenbewegung, dafür viel repressiver Plunder zur Wiederaufnahme der Privilegien absolutistischer Eliten.

 

Und so weiter. In den Revolutionsjahren 1848/49 schafften einige Länder den Durchbruch zum liberalen Verfassungsstaat. Krass daneben ging der deutsche Versuch. Wohl kam es zur Konstituierung eines ersten gewählten Parlamentes, das einen Verfassungsentwurf vorlegte, der dem Kaiser die Gottgewähltheit aberkannt und ihn zu einem Kaiser von Volkes Gnaden zurückgestuft hätte. «Diesen Reif von Dreck und Letten rühre ich nicht an», soll der preussische König Friedrich Wilhelm IV. gegrummelt haben. Die Reaktion als Revolution von oben erfolgte 1870/71, nachdem es dem Ministerpräsidenten Bismarck mittels «Eisen und Schwert» gelungen war, den deutschen Nationalismus zu schüren. Eine Allianz des alten Adels mit dem neuen Grossbürgertum liess sich den Sieg über die Arbeiterschaft durch einen harten Wahlzensus festschreiben.

 

Letztes Beispiel: 1919 setzte sich in Deutschland mit der Weimarer Republik der erste Verfassungsstaat durch. Nach überstandener Inflation (1923) standen die Perspektiven gut, bis die Weltwirtschaftkrise auch Europa in den Sumpf zog. Der Aufstieg der rechtsnationalen Kräfte unter Adolf Hitler war die Folge, der mit viel Unterstützung durch das Grosskapital ins Kanzleramt einzog. Es war die typischste aller Revolutionen von oben. Zentrales Element war die manipulative Propaganda der reaktionären Kräfte.

 

Was unterscheidet eine Revolution von unten von einer Revolution von oben? Die Revolution von unten entspringt vielfältiger sozialer Not und fordert mehr Gerechtigkeit und Massnahmen zum sozialen Ausgleich. Sie will die politische Partizipation der Massen verstärken und insbesondere Ungleichgewichte in der Finanzierung des Staates und im politischen Einfluss aufheben. Die Revolution von unten kommt aus dem aufklärerischen Naturrechtsdenken, das die (Rechts-)Gleichheit aller Menschen zur Basis der Rechtsordnung erhoben hat und bereit ist, dafür zu kämpfen Die gesellschaftliche Basis artikuliert sich in Massendemonstrationen auf der Strasse.

 

Die Revolution von oben dagegen dient einzig der Privilegien- und Klientelbewirtschaftung. Im Wesentlichen geht es darum, Begünstigungen aufrecht zu erhalten oder auszubauen. Sie geht, wie die gesamte politische Reaktion, von der Erfahrung der Ungleichheit der Menschen aus, der jegliche Verfassung Rechnung tragen müsse. Wenn es dazu unterstützende Massenbewegungen auf der Strasse gibt, so sind diese durch manipulative Propaganda der an machthabenden Kräfte motiviert. Denn welches Mitglied einer Unterschicht würde unbeeinflussten Sinnes für die Privilegien einer dünnen Elite auf die Strasse gehen?

 

Die Revolution von unten ist partizipativ, liberal, sozial, hat die gesamte Wohlfahrt im Auge. Ihr Ziel ist eine bessere Welt.

 

Die Revolution von oben ist ausschliessend, illiberal, asozial und hat nur die eigene Pfründenbewirtschaftung im Auge. Für das Ziel einer besseren Welt hat sie einzig Spott übrig. Ihr Ziel ist der Machterhalt. Im engeren Sinn ist die Revolution von oben gar keine.

 

Damit wir das nicht bemerken, ist die Steuerung der öffentlichen Meinung von zentraler Bedeutung. Während jeglicher Revolution von oben wurden so umfassend, wie im jeweiligen Zeitgeist und Entwicklungsstand möglich, zwei gesellschaftliche Kräfte an die Kandare genommen: Die Medien und die Universitäten.

 

Universitäten sind die Zentren der Vernunftsorientierung, der freien Fragestellung, des offenen Denkens und der Mündigkeitsentwicklung. Gefährlich! Deshalb hat der Staat die Universitäten stets im Blick. Beispielhaft sind die «Karlsbader Beschlüsse», die Clemens von Metternich, der Chefideologe der politischen Reaktion, von ebendort 1819 erliess. Sie installierten die Zensur der Presse und der Unis. Eine geheimpolizeilich organisierte Behörde überwachte Seminare und Vorlesungen. Professoren verliessen ihre Lehrstühle haufenweise; schweizerische Universitäten konnten sich das beste akademische Personal aussuchen.

 

Exakt an diesem Punkt sind wir heute. Die US-Regierung von Donald Trump und seiner Toyboys aus dem Silicon Valley hat den Universitäten den Kampf angesagt. «Wir haben viel zu lange zugeschaut und müssen jetzt aggressiv vorgehen», tönte Vize Vance. Die Androhung des Entzugs von Bundesmitteln, falls die Forschungen in Nicht-genehme-Richtungen gingen, macht ihre Wirkung. Bereits zugesagte Stipendien werden kassiert, höhere Gebühren gefordert. Die Ent-Demokratisierung der Universität ist das Programm. Viele Unis sind bereits eingeknickt, nur die renommierte Harvard leistet noch Widerstand. Hochqualifizierte Professoren schauen sich nach Alternativen um. In der Schweiz hat sich die Bewerbungslage von Hochschullehrern aus den USA verdoppelt.

 

Man muss kein Prophet sein um vorauszusagen, dass sich eine solche Politik über kurz oder lang zum Eigentor entwickeln wird. Es ist nicht bekannt, dass die USA über einen akuten Überschuss an Intelligenz leidet, um sich einen Wissenschafts-Exodus leisten zu können... Die Französische Revolution (von unten!) hat vor 250 Jahre den Absolutismus überwunden. Seither sind die Revolutionen (von oben) zu zahlreich geworden. Was in den USA abgeht, zeigt die Tiefe des Absturzes in den (Neo-)Absolutismus. Widerstand tut not. Allons, enfants!

 

 

 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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