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Regierung droht mit Förderstopp: Harvard verteidigt akademische Freiheit gegen politische Eingriffe

Präsident der Harvard-Universität Alan M. Garber (Foto: harvard.edu)
Präsident der Harvard-Universität Alan M. Garber (Foto: harvard.edu)

DMZ –  POLITIK ¦ Lena Wallner ¦       Präsident der Harvard-Universität Alan M. Garber (Foto: harvard.edu)  

 

Cambridge/Washington – Die langjährige Zusammenarbeit zwischen US-Regierung und Spitzenuniversitäten wie Harvard steht auf dem Prüfstand. Hintergrund sind Drohungen aus Washington, finanzielle Partnerschaften zu beenden, sollte Harvard nicht auf ein umfangreiches Maßnahmenpaket der Bundesregierung reagieren. Dieses zielt offiziell auf die Bekämpfung von Antisemitismus ab – greift laut Harvard jedoch tief in die verfassungsmäßig geschützte Autonomie der Universität ein.

 

In einem offenen Brief an die Universitätsgemeinschaft äußert sich Harvard-Interimspräsident Alan M. Garber besorgt über die Eskalation: „Spät am Freitagabend erhielten wir ein aktualisiertes und erweitertes Forderungsschreiben, das deutlich macht, dass die Bundesregierung nicht an einer konstruktiven Zusammenarbeit interessiert ist.“ Vielmehr versuche sie, die „intellektuellen Bedingungen“ an der Universität direkt zu regulieren – darunter etwa die politische Gesinnung von Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden zu überprüfen.

 

Verfassungsrechtliche Grenzen überschritten?

Garber macht unmissverständlich klar, dass Harvard das geforderte Abkommen ablehnen werde: „Die Universität wird ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben und keine verfassungsmäßigen Rechte preisgeben.“ Die Maßnahmen überschritten nicht nur die Befugnisse des Bundes unter Titel VI des Civil Rights Act, sondern verletzten auch das in der US-Verfassung verankerte Recht auf Meinungsfreiheit und akademische Selbstbestimmung.

 

Das Verhältnis zwischen Regierung und Hochschulen hat in den USA eine lange und fruchtbare Tradition: Seit über 75 Jahren fließen Fördergelder für Forschungsvorhaben, die medizinische, technologische und gesellschaftliche Durchbrüche ermöglichten – darunter Fortschritte in der Alzheimerforschung, künstlicher Intelligenz und Quantenwissenschaft. Ein Rückzug aus dieser Zusammenarbeit gefährde laut Harvard nicht nur den medizinischen und wissenschaftlichen Fortschritt, sondern auch die wirtschaftliche Innovationskraft der Vereinigten Staaten.

 

Kampf gegen Antisemitismus – aber ohne Zensur

Gleichzeitig betont Garber, dass Harvard den Kampf gegen Antisemitismus sehr ernst nehme. In den vergangenen 15 Monaten seien zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden, um jüdisches Leben auf dem Campus zu schützen und Diskriminierung entgegenzuwirken. Weitere Schritte seien geplant. Doch der Weg dorthin müsse rechtstaatlich sein und dürfe nicht mit ideologischer Kontrolle einhergehen: „Diese Ziele lassen sich nicht durch Machtdemonstrationen erreichen, die losgelöst vom Gesetz versuchen, Lehre und Forschung an Harvard zu kontrollieren.“

 

Die Universitätsleitung ruft dazu auf, die Grundwerte der akademischen Freiheit zu verteidigen – auch gegenüber staatlichem Druck. Die Suche nach Wahrheit sei ein unendlicher Prozess, der Offenheit für unterschiedliche Perspektiven, kritische Selbstreflexion und die Bereitschaft zum Wandel erfordere. Die staatliche Einmischung laufe diesem Selbstverständnis zuwider.

 

Breitere Debatte über Universitätsautonomie

Die Auseinandersetzung zwischen Harvard und der Bundesregierung wirft grundsätzliche Fragen über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik in den USA auf: Wie viel Einfluss darf der Staat auf Hochschulen nehmen, insbesondere wenn öffentliche Mittel im Spiel sind?

 

Und wo verläuft die Grenze zwischen legitimer Aufsicht und verfassungswidriger Einflussnahme?

Während der öffentliche Druck auf Universitäten nach dem 7. Oktober 2023 in Folge antisemitischer Vorfälle zugenommen hat, warnen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davor, dass politisch motivierte Eingriffe in Forschung und Lehre gefährliche Präzedenzfälle schaffen könnten. Der Fall Harvard könnte damit zum Gradmesser für die Zukunft akademischer Freiheit in den Vereinigten Staaten werden.

 

In Zeiten wachsender gesellschaftlicher Polarisierung ist der Schutz von Minderheitenrechten ebenso wichtig wie die Bewahrung verfassungsrechtlicher Prinzipien. Die Herausforderung besteht darin, beides miteinander in Einklang zu bringen – ohne die Freiheit der Wissenschaft dem Zeitgeist oder parteipolitischer Opportunität zu opfern.


 

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