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Die stille Revolution der Sonne: Wie Photovoltaik die Welt verändert

DMZ –  ENERGIE ¦ Anton Aeberhard ¦

 

Lange galten fossile Energien als unantastbare Säulen der weltweiten Stromversorgung. Doch eine stille, aber tiefgreifende Revolution hat begonnen, die dieses System ins Wanken bringt: Der Siegeszug der Solarenergie. In kaum einem anderen Bereich haben sich technische Innovation, wirtschaftliche Dynamik und globale Notwendigkeit so rasant verbunden wie in der Photovoltaik.

 

Eine neue Ära der Energiegewinnung

Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich Solarenergie von einer teuren Nischenlösung zu der kostengünstigsten Form der Stromerzeugung in der Menschheitsgeschichte entwickelt. Insbesondere in Industriestaaten avancierte sie zum zentralen Pfeiler der Energiewende. In Entwicklungs- und Schwellenländern eröffnet sie Millionen von Menschen erstmals Zugang zu elektrischer Energie – dezentral, unabhängig und emissionsfrei.

 

Die Internationale Energieagentur (IEA), die ursprünglich als Sprachrohr der Ölindustrie gegründet wurde, geht heute davon aus, dass Photovoltaik bis zum Jahr 2030 etwa ein Drittel der weltweiten Stromproduktion leisten könnte. Doch Beobachter*innen aus Forschung und Industrie halten selbst diese ambitionierten Zahlen für konservativ: In der Vergangenheit hat die IEA das Wachstum der Solarenergie regelmäßig unterschätzt – 2015 beispielsweise prognostizierte sie eine Verdopplung der globalen Solarkapazität bis 2024, tatsächlich kam es fast zu einer Verzehnfachung.

 

Exponentielles Wachstum mit globaler Reichweite

Die Kapazität von Photovoltaikanlagen verdoppelt sich derzeit alle drei Jahre. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte Solarenergie bereits in den 2030er Jahren den weltweiten Strombedarf decken – und wenig später auch große Teile des gesamten Energieverbrauchs, etwa in Industrie und Verkehr. Expert*innen wie die Bloomberg-Analystin Jenny Chase sehen darin eine Zukunft, in der Strom an vielen Orten tagsüber nahezu kostenlos verfügbar sein wird.

 

Ein zentraler Treiber dieser Entwicklung ist der drastische Preisverfall: Seit den 1970er Jahren sind die Kosten für Solarmodule um mehr als 99 Prozent gesunken. Vergleichbare Rückgänge verzeichnet auch die Speichertechnologie. In Regionen wie Bangladesch laden mittlerweile E-Rikschas an solarbetriebenen Kiosken, im Libanon kompensierten Privatpersonen während der Energiekrise 2022 den Ausfall staatlicher Netze mit Dachanlagen. In Deutschland findet man auf zahlreichen Balkonen Photovoltaikmodule – ein Symbol für den Wandel von unten.

 

Politische Gräben und überraschende Allianzen

Selbst politische Lager, die der Energiewende bislang kritisch gegenüberstanden, erkennen zunehmend die ökonomischen Vorteile der Solarenergie. So outete sich etwa der US-Unternehmer Elon Musk öffentlich als Befürworter der Photovoltaik – ausgerechnet in einem Gespräch mit der klimaskeptischen deutschen Politikerin Alice Weidel. Auch in konservativ regierten Regionen wie Texas oder Ungarn nimmt der Ausbau deutlich Fahrt auf.

 

Diese Dynamik zeigt sich auch international: In Saudi-Arabien entsteht eines der grössten Solarkraftwerke der Welt, Australien plant eine direkte Stromverbindung nach Singapur über Tausende Kilometer. Der Solarsektor entwickelt sich damit nicht nur technologisch, sondern auch geopolitisch zu einer Schlüsselinfrastruktur.

 

Herausforderungen eines disruptiven Wandels

Doch die Expansion bringt auch Probleme mit sich. So ist die derzeitige Preisdynamik zwar ein Segen für Verbraucher*innen, sie kann aber den Markt destabilisieren: In Zeiten starker Sonneneinstrahlung fallen die Strompreise teilweise ins Negative – mit der Folge, dass neue Investitionen wirtschaftlich unattraktiv werden. Der Ausbau könnte dadurch gebremst werden, noch bevor eine vollständige Umstellung auf Erneuerbare erreicht ist.

 

Hinzu kommen ethische und ökologische Bedenken: Berichte über Arbeitsbedingungen in chinesischen Fertigungsstätten werfen einen Schatten auf die glänzende Fassade der Branche. Insbesondere in der Provinz Xinjiang gibt es Hinweise auf Zwangsarbeit. Gleichzeitig gefährdet der Abbau von Rohstoffen wie Lithium empfindliche Ökosysteme. Auch das Recycling von Millionen von Solarmodulen ist bislang ungelöst. Dennoch bleibt die Bilanz im Vergleich zur Öl- und Kohleindustrie deutlich günstiger.

 

Globale Ungleichgewichte – und ungenutzte Potenziale

Auffällig ist, dass ausgerechnet sonnenreiche Regionen wie Afrika, der Nahe Osten oder Teile Südamerikas bislang kaum vom Solarboom profitieren. Nur ein Bruchteil der weltweiten Kapazitäten ist dort installiert. Dabei wären die klimatischen Bedingungen ideal, um sowohl den lokalen Bedarf zu decken als auch den Export zu ermöglichen.

 

Gleichzeitig sind viele Stromnetze weltweit nicht auf dezentrale, volatile Einspeisung vorbereitet. Die Anpassung an die neuen Gegebenheiten – durch smarte Netze und Speicherlösungen – verläuft vielerorts schleppend. Die Infrastruktur wächst nicht im gleichen Tempo wie die installierte Leistung.

 

Pakistan als Beispiel für Selbstermächtigung

Ein bemerkenswertes Beispiel für einen durch Eigeninitiative getragenen Solarboom liefert Pakistan. Angesichts extremer Temperaturen von über 50 Grad Celsius und häufiger Stromausfälle haben dort zahlreiche Haushalte und Unternehmen in eigene Solaranlagen investiert. Die offizielle Statistik hinkte der Realität lange hinterher – erst Satellitendaten machten deutlich, wie stark der nicht erfasste Zubau war. Inzwischen stammen rund zehn Prozent des Stroms des Landes aus Sonnenkraft.

 

China als Taktgeber

China ist unangefochten die weltweit führende Solarnation – sowohl bei der Produktion als auch beim Ausbau. Über 90 Prozent aller Solarmodule stammen aus chinesischen Fabriken. Der dortige Markt ist so groß, dass selbst Überkapazitäten auf globaler Ebene spürbare Auswirkungen haben. Die Preise für Solarmodule sind dadurch weiter gefallen – ein Phänomen, das den weltweiten Ausbau zwar erleichtert, aber auch mit Fragen der Abhängigkeit verknüpft ist.

 

Fazit: Eine Zukunft mit Sonnenkraft – aber nicht ohne Weichenstellung

Der globale Aufstieg der Solarenergie steht für einen historischen Wendepunkt. Er birgt gewaltige Chancen für eine gerechtere, emissionsfreie Welt – vorausgesetzt, dass politische, infrastrukturelle und soziale Rahmenbedingungen rasch angepasst werden. Die Sonne liefert genug Energie für alle. Nun liegt es an der Menschheit, diese nachhaltig zu nutzen – und die Verheißung eines solaren Zeitalters in eine gerechte Realität zu verwandeln.


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