· 

Berufskrankheit Parkinson: Bauernverband blockiert Unterstützung für erkrankte Landwirte

DMZ –  POLITIK  ¦ Anton Aeberhard ¦

 

Laut Recherchen der taz steht der Deutsche Bauernverband einer Anerkennung von Pestizid-bedingtem Parkinson als Berufskrankheit ablehnend gegenüber – mit gravierenden Folgen für Betroffene.

 

Ein aktueller Bericht der taz wirft ein Schlaglicht auf ein bedrückendes Thema im ländlichen Raum: Immer mehr ehemalige Landwirte leiden im Alter unter Parkinson-Symptomen, deren Ursache sie in jahrzehntelanger Arbeit mit Pestiziden vermuten. Wissenschaftliche Erkenntnisse stützen diesen Verdacht – und dennoch fehlt vielen Erkrankten bis heute die offizielle Anerkennung ihrer Leiden als Berufskrankheit. Grund dafür ist nicht zuletzt die ablehnende Haltung des Deutschen Bauernverbands, der steigende Kosten für seine Mitglieder befürchtet.

 

Wissenschaftlich anerkannt, praktisch blockiert

Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten beim Bundesarbeitsministerium hat bereits im September 2023 empfohlen, Parkinsonerkrankungen infolge von Pestizidexposition in die Liste der Berufskrankheiten aufzunehmen. Zahlreiche epidemiologische Studien sowie tierexperimentelle Untersuchungen stützen die Annahme, dass ein regelmäßiger Kontakt mit bestimmten Pflanzenschutzmitteln das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson erheblich erhöht. Auch Zellversuche zeigen Schäden, wie sie bei Parkinson charakteristisch sind.

 

Damit ein solcher Fall jedoch offiziell anerkannt wird, verlangt die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) von den Betroffenen detaillierte Nachweise: Mindestens 100 dokumentierte Einsatztage mit Herbiziden, Insektiziden oder Fungiziden müssen belegt werden. Eine Hürde, die viele Erkrankte kaum überwinden können – nicht zuletzt, weil Dokumentationspflichten erst seit 2008 bestehen. Wer Jahrzehnte zuvor im Einsatz war, hat in der Regel keine belastbaren Aufzeichnungen mehr.

 

Tausende abgelehnte Anträge – und kein einziger positiver Bescheid

Laut taz hat die Berufsgenossenschaft bis Anfang April 2025 keinen einzigen Parkinsonfall als Berufskrankheit anerkannt. Von rund 8.200 gestellten Anträgen wurden bereits über 5.000 abgelehnt. Betroffene oder ihre Angehörigen berichten von kaum zu erfüllenden Anforderungen und einer aus ihrer Sicht bewusst bürokratisierten Blockade. Selbst dann, wenn Einkaufslieferungen über Jahre hinweg den Erwerb einschlägiger Chemikalien dokumentieren, verweist die Berufsgenossenschaft auf die fehlende konkrete Anwendung in der Vergangenheit.

 

Hinter dieser restriktiven Handhabung steht offenbar auch finanzieller Druck: Die SVLFG rechnet laut eigenen Angaben mit durchschnittlichen jährlichen Zusatzkosten von rund 27.600 Euro pro anerkanntem Fall. Bereits im laufenden Jahr mussten aufgrund der potenziellen Anerkennungen rund 100 Millionen Euro mehr an Beiträgen eingenommen werden – ein Plus von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr für die landwirtschaftlichen Betriebe. Vor diesem Hintergrund hat der Deutsche Bauernverband in einem Positionspapier zur Bundestagswahl 2025 explizit vor "politisch motivierten Entscheidungen" wie der Anerkennung von "Parkinson durch Pestizide" gewarnt.

 

Gesundheitsrisiken lange unterschätzt – oder bewusst ignoriert?

Viele Landwirte, die heute mit schweren gesundheitlichen Einschränkungen leben, berichten, dass sie sich über Jahrzehnte keine Gedanken über mögliche Risiken gemacht haben. Pflanzenschutzmittel gehörten zum Alltag, Hinweise auf gesundheitliche Gefahren wurden oft als übertrieben oder ideologisch motiviert abgetan. Dass sich die Sorgen von Umweltschützern und Medizinern heute bestätigen, trifft viele Betroffene hart – zumal die politische Unterstützung an entscheidender Stelle fehlt.

 

Während Frankreich bereits 2012 Parkinson durch Pestizide als Berufskrankheit anerkannt hat, kämpft man in Deutschland um jeden Einzelfall. Und das, obwohl Studien belegen, dass die Exposition gegenüber bestimmten Pestiziden das Parkinson-Risiko teils mehr als verdoppeln kann – sofern die Mittel regelmäßig und über längere Zeit angewendet wurden.

 

Eine Frage der Verantwortung

Die Weigerung des Deutschen Bauernverbands, eine breite Anerkennung mitzutragen, wirft eine grundsätzliche Frage auf: Welche Verantwortung trägt ein Interessenverband gegenüber jenen, die über Jahrzehnte in seinem Einflussbereich gearbeitet haben – und heute schwer krank sind? Die Sorge vor steigenden Beiträgen ist nachvollziehbar, darf aber nicht höher gewichtet werden als das berechtigte Interesse erkrankter Menschen auf Anerkennung, Unterstützung und Würde im Alter.

 

Ob sich der politische Wille in den kommenden Monaten durchsetzt, bleibt offen. Klar ist jedoch: Ohne grundlegende Reformen im Umgang mit Berufskrankheiten bleibt vielen Landwirtinnen und Landwirten in Deutschland nur die Hoffnung – und der Eindruck, dass ihre Krankheit zwar wissenschaftlich nachvollziehbar, aber politisch unerwünscht ist.


Fehler- und Korrekturhinweise

Wenn Sie einen Fehler entdecken, der Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollte, teilen Sie ihn uns bitte mit, indem Sie an intern@mittellaendische.ch schreiben. Wir sind bestrebt, eventuelle Fehler zeitnah zu korrigieren, und Ihre Mitarbeit erleichtert uns diesen Prozess erheblich. Bitte geben Sie in Ihrer E-Mail die folgenden Informationen sachlich an:

  • Ort des Fehlers: Geben Sie uns die genaue URL/Webadresse an, unter der Sie den Fehler gefunden haben.
  • Beschreibung des Fehlers: Teilen Sie uns bitte präzise mit, welche Angaben oder Textpassagen Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollten und auf welche Weise. Wir sind offen für Ihre sinnvollen Vorschläge.
  • Belege: Idealerweise fügen Sie Ihrer Nachricht Belege für Ihre Aussagen hinzu, wie beispielsweise Webadressen. Das erleichtert es uns, Ihre Fehler- oder Korrekturhinweise zu überprüfen und die Korrektur möglichst schnell durchzuführen.

Wir prüfen eingegangene Fehler- und Korrekturhinweise so schnell wie möglich. Vielen Dank für Ihr konstruktives Feedback!


 

Unterstützen Sie uns jetzt!

Seit unserer Gründung steht die DMZ für freien Zugang zu Informationen für alle – das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir möchten, dass jeder Mensch kostenlos faktenbasierte Nachrichten erhält, und zwar wertfrei und ohne störende Unterbrechungen.

Unser Ziel ist es, engagierten und qualitativ hochwertigen Journalismus anzubieten, der für alle frei zugänglich ist, ohne Paywall. Gerade in dieser Zeit der Desinformation und sozialen Medien ist es entscheidend, dass seriöse, faktenbasierte und wissenschaftliche Informationen und Analysen für jedermann verfügbar sind.

Unsere Leserinnen und Leser machen uns besonders. Nur dank Ihnen, unserer Leserschaft, existiert die DMZ. Sie sind unser größter Schatz.

Sie wissen, dass guter Journalismus nicht von selbst entsteht, und dafür sind wir sehr dankbar. Um auch in Zukunft unabhängigen Journalismus anbieten zu können, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen.

Setzen Sie ein starkes Zeichen für die DMZ und die Zukunft unseres Journalismus. Schon mit einem Beitrag von 5 Euro können Sie einen Unterschied machen und dazu beitragen, dass wir weiterhin frei berichten können.

Jeder Beitrag zählt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!


Kommentare: 0