
DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦
KOMMENTAR
Donald Trump macht Ernst. Während er mit dem Charme eines Mitrailleurs Präsidialerlass um Präsidialerlass in die Welt jagt, guckt Europa betreten aus der Wäsche. Forderung um Forderung richtet der Egomane im Weissen Haus an die Welt, welche Produkte bitteschön exklusiv in den USA einzukaufen seien. Ansonsten würden Strafmassnahmen (in Form von Zöllen) leider unvermeidlich. Was kann Europa dem entgegenstellen?
Gar nichts. Ganz einfach, weil man aus der Vergangenheit gar nichts gelernt hat. Bei der heutigen Konstellation handelt es sich um ein Déjà-vu, und zwar eines der peinlicheren Art. Vor drei Jahren waren die Staaten Europas von den USA ultimativ genötigt worden, auf die günstige Energieversorgung aus Russland zu verzichten und, trotz immensen Wohlstandsverlustes, teures und umweltschädliches Fracking-Flüssiggas in den USA einzukaufen. Und damit nicht genug: zum materiellen Schaden kam noch der symbolische hinzu. Den Regierungschefs des alten Kontinents wurde auch noch ein Schuldbekenntnis abverlangt, ein Gang nach Canossa 2.0. Öffentlich mussten sie bekennen: wir haben gefehlt, nostra maxima culpa, Asche auf unser Haupt, wir hätten uns nie auf eine so einseitige Energie-Abhängigkeit von Putin, diesem Schurken, einlassen dürfen.
Die Europäer schluckten die Kröte und ordneten sich in Viererkolonne hinter Joe Biden ein. Gegen jede Vernunft akzeptierten ihre Regierungen, dass die USA selbst die für Europa existentielle Gasleitung torpediert hatten, weil sie im Gegenzug – von den Medien – die moralische Absolution erhielten. Zwar waren die Arbeitsplätze weg, es wurde alles teurer, aber die veröffentlichte Meinung entschuldigte alles, weil die Regierungen sich von Putin losgemacht hatten. Von Putin, den dieselben Medien als irgendein Wesen zwischen Hitler und dem Teufel himself an die Wand malten.
Willfährig liessen sich die EU und insbesondere Deutschland am Gängelband vorführen, ohne zu bemerken, dass auch die Abhängigkeit von «Freunden» eine Abhängigkeit ist. Denn die neuen Gasmänner aus Übersee waren ja die Guten. Aber so kann es gehen, wenn man auf die falschen Freunde setzt… Nach Trumps Wahlsieg und Amtsantritt dürfte das Missverständnis ausgeräumt sein. Die Freundschaft, die Joe Biden Europa vorgeheuchelt hatte, weicht gerade einem offen zur Schau gestellten, transatlantischen Pas-de-deux von Erpresser und Erpressten. Welche Variante uns besser gefällt, jene von Biden oder jene von Trump, ist nur eine Frage des Geschmacks. Der Stier packt Europa so oder so, um es mit einem antiken Mythos auszudrücken.
Ein Beispiel gefällig? Illustrativ ist der Umgang aller Beteiligten mit der OECD-Übereinkunft, künftig von Unternehmen eine Mindeststeuer von 15 Prozent einzufordern. Die Europäer haben sich dem Gebot unterzogen und ihre Gesetze angepasst, aber, siehe da, jetzt verspürt Donald Trump keine Lust mehr, sich solidarisch zu verhalten (dem Vernehmen nach wäre es auch unter Biden respektive Kamala Harris so gekommen). Trump machte im Rahmen seines Sperrfeuers von neuen Erlassen, mit welchen er seit Montag die Öffentlichkeit bombardiert, kein Hehl daraus, dass die USA sich nicht an die Vereinbarung halten würden. Und wer guckt in den Mond? Europa.
Trumps Absicht ist klar: Er will Arbeitsplätze von Europa nach den USA absaugen und setzt dazu billige Energie und tiefe Steuern als Köder ein. America first… Generell gilt, dass die Entscheidungen in den USA fallen und Europa an die Peripherie eines neuen amerikanischen Imperiums gedrängt wird, das wie Phönix aus der Asche (des Ukrainekriegs…) steigt. Zwar ist Russland nicht besiegt (und wird auch nicht besiegt werden), aber das spielt keine Rolle. Denn der Krieg galt ja stets weniger Russland, sondern viel eher dem westlichen Europa, das unter die amerikanische Knute gezwungen werden sollte. Wie nennt man so eine Anordnung von Zentrum und Peripherie schon wieder? Ach ja, Kolonialismus… Peinlich ist, dass die Europäer so tun müssen, als hätten sie das noch nicht gemerkt. Denn alles andere würde einen zu grossen Gesichtsverlust bedeuten.
Die These, die hier vertreten wird – dass der Ukraine-Krieg von der Regierung Biden nicht primär gegen Russland geführt wurde, sondern dazu diente, Europa zu spalten – ist seit Kriegsbeginn von namhaften Autoren vertreten worden (eigentlich von allen, die sich nicht von einer Politik hegemonialer Interessen vereinnahmen liessen: John Mearsheimer, Benjamin Abelow, Emanuel Todd, Rainer Mausfeld u.v.a.). Habe ich sie hier vertreten, so sind mir im günstigsten Fall Bedenken und Ungläubigkeit entgegengeschlagen; im schlechteren Fall hat man an meinem Verstand gezweifelt. Nun, seit Trump, wird die Sache offenkundig, weil Trump diesen Krieg nicht mehr braucht.
Insofern war es Biden, der für Trump die Kohlen aus dem Feuer geholt hat (da kann Trump gegen Old Joe nachtreten wie er will). Der Deal-Maker aus Mar-a-Lago tritt sein Amt an und muss nur noch abschöpfen. Damit ist es auch egal, ob von Trump oder Biden (oder irgendeinem ihren Vorgänger) die Rede ist. Es geht nicht um Köpfe, es geht um Strukturen. Der «militärisch-industrielle Komplex», von dem vor 65 Jahren Präsident Eisenhower warnend ankündigte, er werde die Demokratie gefährden, hat sich selbständig gemacht, unabhängig von der Frage, wer gerade Präsident ist. Ob daran das neue Element in Trumps Administration, der systematische Einbezug von Künstlicher Intelligenz, etwas ändern wird? Und – falls ja – in welche Richtung?
Europa ist gefangen im Dilemma, das sich aus alldem ergibt. Zum russischen Gas zurückzukehren, ist nur um den Preis eines Wirtschaftskrieges gegen den besten «Freund» zu haben (obwohl Putin nicht müde wird, seine Bereitschaft zu neuen Gaslieferungen zu betonen). So viel europäische Einigkeit, wie das erfordern würde, ist jedoch illusorisch. Also spielt man der Öffentlichkeit weiterhin die Schmierenkomödie vom Schurken Putin vor, dem unter gar keinen Umständen auch nur ein einziges Öllämpchen abgekauft werden dürfe oder Nachfüllgas für ein einziges Feuerzeug. Die einzige Strategie, die den herrschenden Kreisen der EU einfällt, lautet: Waffen, mehr Waffen, noch mehr Waffen. Hat man je eine kurzsichtigere, mutlosere, uninspiriertere Politik gesehen? Und dieser EU (die längst vergessen hat, dass sie vor 70 Jahren aus einer Friedensidee entstanden ist) wollen wir Schweizer uns an den Hals werfen?
.............................................................................
Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.
Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.
Kommentar schreiben