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Die Opfer des Zuckerrohrschneidens

DMZ – GESELLSCHAFT ¦ P. Jungo         

 

Jeden Oktober beginnt in Maharashtra, einem Bundesstaat im mittleren Westen Indiens, die Rekrutierung für die Saison des Zuckerrohrschneidens. Diese dauert sechs Monate und beginnt im Süden des Landes, rund 500 Kilometer entfernt.

 

In dieser Zeit finden etwa eine Million Arbeiter Beschäftigung. Die sogenannten „Mukadam“, die Anwerber, erhalten von den Zuckerplantagen den Auftrag, ganze Familien in eine Region im benachbarten Bundesstaat Karnataka zu bringen, die als „Zuckergürtel“ bekannt ist. Vor Ort sind sie dafür verantwortlich, die Produktivität der Arbeiter zu überwachen und werden dafür entlohnt. Ein bemerkenswerter Teil der Arbeiter sind Frauen, viele von ihnen arbeiten bereits seit ihrem zehnten Lebensjahr unter extrem harten Bedingungen: Um 3 Uhr morgens aufstehen, zehn Stunden Arbeit unter der sengenden Sonne und nur ein freier Tag pro Monat. In dieser Region rund um den Beed-Distrikt leiden viele von ihnen unter einer mysteriösen Krankheit, die kürzlich von der französischen Sendung „Envoyé spécial“ näher untersucht wurde.

 

Ein besonders auffälliges Phänomen ist, dass im Zuckergürtel 36% der Landarbeiterinnen keine Gebärmutter mehr haben. Viele von ihnen unterziehen sich bereits im jungen Alter von etwa 20 Jahren einer totalen Hysterektomie, einer Operation, bei der die Gebärmutter und oft auch die Eierstöcke entfernt werden – ein Eingriff, der in diesem Alter äußerst selten ist. Frauen, die diese Operation durchgemacht haben, sehen mit 30 Jahren aus wie 50. Die Operation führt zu einer frühzeitigen Menopause, da die hormonelle Produktion gestoppt wird, was die Frauen unfruchtbar macht. Doch warum entscheiden sich so viele Frauen für diesen folgenschweren Eingriff?

 

Um dies zu klären, begleitete das Team von „Envoyé spécial“ einige der betroffenen Landarbeiterinnen in eines der Zeltlager, die von den Zuckerfabriken errichtet wurden. Diese sind während der Erntesaison ihr Zuhause, jedoch ohne fließendes Wasser und Strom. Auch die 20-jährige Reka spielt mit dem Gedanken, sich ihre Gebärmutter entfernen zu lassen. Wie viele Zuckerschneiderinnen leidet sie unter ständiger Müdigkeit, Bauchschmerzen und anderen wiederkehrenden Beschwerden. Der Mukadam, der die Frauen rekrutiert und anleitet, bestätigt, dass viele dieser Frauen ähnliche Symptome haben. Sein Rat: Das Entfernen der Gebärmutter, um Krebs zu vermeiden – ein Risiko, das jedoch sehr gering ist, aber von den Ärzten der Region als Argument für den Eingriff genutzt wird.

 

Nachdem die Frauen die Operation, meist auf eigene Kosten, hinter sich haben, geht es wieder zurück auf das Feld. Erst dann beginnt der Lohn wieder zu fließen. Der Mukadam erklärt, dass es ein großes Problem darstelle, wenn die Frauen sich nicht der Operation unterziehen, da sie dann weniger produktiv seien. Sollte dann auch noch Krebs hinzukommen, seien die Frauen ohne Nutzen. Was er nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass die Frauen oft geschlagen und erniedrigt werden, wenn sie die geforderte Leistung nicht erbringen können. Die Entfernung der Gebärmutter wird als ein Weg beschrieben, um weiterhin produktiv zu bleiben: keine Kinder mehr, keine Menstruation, keine Schmerzen.

 

Erstaunlich ist, dass in Indien sowie weltweit nur etwa 3% der Frauen eine Hysterektomie unterzogen wird – meist über 50 Jahre alt und aus medizinischen Gründen. Tausende von Zuckerrohrschneiderinnen jedoch, die unter enormem Druck stehen und Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren, lassen sich zu dieser irreversiblen Operation überreden. Sie opfern ihre Gesundheit, um den harten Arbeitsanforderungen gerecht zu werden. Doch diese drastische Maßnahme löst das zugrunde liegende Problem nicht und verschärft ihre ohnehin schon schwierige Lebenssituation noch weiter.

 

 

Quelle:

+Francetvinfo.fr+

+"Les sacrifiées du sucre" - "Envoyé spécial"±

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