DMZ –FORSCHUNG ¦ Sarah Koller ¦
Eine aktuelle Übersichtsarbeit mit dem Titel „Post-Acute Sequelae of COVID-19 in Pediatric Patients within the United States: A Scoping Review“ widmet sich den Langzeitfolgen von COVID-19 (PASC, Post-Acute Sequelae of SARS-CoV-2) bei Kindern und Jugendlichen. Die Studie beleuchtet ein zunehmend relevantes Thema, da die Auswirkungen von COVID-19 auf Kinder, insbesondere im Hinblick auf Langzeitfolgen, noch unzureichend erforscht sind.
PASC in der Geschichte der Medizin
Langzeitfolgen nach Infektionskrankheiten sind kein neues Phänomen. Bereits nach früheren Pandemien wurden ähnliche Syndrombilder beschrieben. So wurden nach der H2N2-Influenza-Pandemie Ende des 19. Jahrhunderts Zustände wie „Neurasthenie“ oder „Grippeerschöpfung“ dokumentiert, die durch Symptome wie Müdigkeit, Muskelschmerzen und postexertionale Malaise gekennzeichnet waren. Auch nach der H1N1-Influenza-Pandemie 1918 trat das „Enzephalitis lethargica“-Syndrom auf, das übermäßige Schläfrigkeit und motorische Störungen, insbesondere bei Kindern, verursachte. Im 20. Jahrhundert folgte das Post-Poliomyelitis-Syndrom, das Jahrzehnte nach der Genesung von Polio zu Muskelschwäche und Erschöpfung führte.
Die vorliegende Studie zeigt, dass auch bei COVID-19 eine Vielzahl von Kindern und Jugendlichen von langfristigen, oft schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen betroffen sind, die über die akute Infektion hinausgehen. Diese sogenannten Post-Acute-Sequelae of COVID-19 (PASC), auch als Long COVID bekannt, beeinträchtigen nicht nur das Wohlbefinden, sondern haben insbesondere im Entwicklungsalter weitreichende Folgen für das soziale und schulische Leben der Betroffenen.
Langzeitfolgen bei Kindern: Ähnlichkeiten und Unterschiede zu Erwachsenen
Wie bei Erwachsenen treten auch bei Kindern PASC-Symptome wie Müdigkeit, Gehirnnebel, Kopfschmerzen, Atembeschwerden und Schlafstörungen auf. Im Gegensatz zu Erwachsenen, bei denen Müdigkeit das häufigste Symptom ist, zeigt die Studie, dass bei Kindern und Jugendlichen Atemnot (Dyspnoe) am häufigsten auftritt. Mädchen scheinen häufiger von PASC betroffen zu sein, was auch bei Erwachsenen beobachtet wurde.
Die Studie hebt hervor, dass sich Langzeitfolgen bei Kindern besonders negativ auf ihre Bildung und soziale Entwicklung auswirken. Schulabsentismus, der Verlust der Teilnahme an sportlichen und außerschulischen Aktivitäten sowie unterbrochene soziale Interaktionen sind weitreichende Folgen. Dies macht deutlich, dass ein besseres Verständnis von PASC bei Kindern dringend erforderlich ist, um angemessene Behandlungsstrategien zu entwickeln.
Herausforderungen in der Diagnostik und Behandlung
Eines der größten Hindernisse bei der Diagnose von PASC ist das Fehlen objektiver diagnostischer Marker. Obwohl Fortschritte gemacht werden, bleibt die Diagnostik von PASC, insbesondere bei Kindern, eine Herausforderung. In der Übersichtsstudie wird hervorgehoben, dass einige europäische Studien physiologische Unterschiede wie eine erhöhte autonome Dysfunktion bei Kindern mit PASC nachweisen konnten. Eine kanadische Studie zeigte zudem, dass bei männlichen Kindern mit PASC erhöhte Immunzellenzahlen ähnlich wie bei einer akuten Infektion festgestellt wurden.
Die Behandlung von PASC in den USA ist bislang stark symptomatisch und beschränkt sich in vielen Fällen auf die Linderung der Symptome durch Physio- und Psychotherapie. Viele der diagnostischen Tests bei Long-COVID-Patienten zeigen keine Auffälligkeiten, was die Identifikation der Erkrankung erschwert.
Prävalenz und Risikofaktoren
Die Prävalenz von PASC bei Kindern wird auf etwa 3,7 % geschätzt, basierend auf Daten aus mehreren Gesundheitssystemen in den USA. Risikofaktoren wie ein höheres Alter, weibliches Geschlecht, Asthma oder Adipositas sowie eine schwere akute COVID-19-Infektion erhöhen die Wahrscheinlichkeit, PASC zu entwickeln. Diese Ergebnisse decken sich mit Erkenntnissen aus europäischen und kanadischen Studien, die ähnliche Risikofaktoren identifizieren konnten.
Notwendigkeit weiterer Forschung
Obwohl die Studienlage zu PASC bei Kindern noch begrenzt ist, zeigt die Übersichtsarbeit deutlich, dass dringend mehr Forschung erforderlich ist, um die Mechanismen und potenziellen Therapien für PASC zu verstehen. Insbesondere die Identifikation von Biomarkern könnte die Diagnostik erleichtern und gezieltere Behandlungen ermöglichen. Die Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen zur Prävention von PASC ist noch unklar, jedoch deuten erste Studien auf einen möglichen Schutz hin, insbesondere bei Jugendlichen.
Die vorliegende Studie ist ein wichtiger Schritt in der Erforschung der Langzeitfolgen von COVID-19 bei Kindern. Sie verdeutlicht, dass PASC ein ernstes Gesundheitsproblem darstellt, das die Lebensqualität und Entwicklung betroffener Kinder erheblich beeinträchtigen kann. Es bleibt jedoch noch viel zu tun, um die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten dieser komplexen Erkrankung besser zu verstehen.
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