DMZ – POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦
Wien – Die Geschichte des österreichischen Wahlsystems ist eine lange, schrittweise Entwicklung, die eng mit politischen Umbrüchen und dem Streben nach mehr Demokratie verbunden ist. Während anfänglich nur bestimmte Männer wählen durften, erhielten 1907 alle Männer über 24 Jahren das Wahlrecht. Frauen mussten bis zum Ende der Monarchie 1918 auf dieses Recht warten. Seitdem hat das österreichische Wahlsystem mehrere tiefgreifende Reformen durchlaufen, von denen drei besonders prägend für die Zweite Republik waren. Die Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik gibt im Rahmen von #MehralseinKreuzerl einen fundierten Überblick über diese bedeutenden Entwicklungen.
1945: Entscheidung für das Verhältniswahlrecht
Nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes stand Österreich vor der Herausforderung, ein neues, stabiles Wahlsystem zu etablieren. Die Entscheidung fiel zugunsten des Verhältniswahlrechts – ein System, das Konsens und Zusammenarbeit fördern und Konflikten vorbeugen sollte. Zudem etablierte sich in vielen Bundesländern ein Proporzsystem, das Parteien mit einem bestimmten Stimmenanteil automatisch in die Regierung einband. „Die Geschichte des Wahlsystems ist eine Entwicklung hin zu mehr Proportionalität und einer stärkeren Anbindung an die Wählerinnen und Wähler“, erklärt Praprotnik, Mitherausgeberin des Buchs Das politische System Österreichs.
1970: Mehr Mandate und neue Chancen für Kleinparteien
Eine der bedeutendsten Reformen des Wahlsystems ereignete sich 1970. In einer Zeit, als die SPÖ unter Bruno Kreisky mit einer Minderheitsregierung an der Macht war, wurde das Wahlrecht umfassend verändert – unterstützt von der FPÖ, die ebenfalls eine Wahlrechtsreform anstrebte. Die Zahl der Mandate im Nationalrat wurde von 165 auf 183 erhöht, und die Wahlkreise wurden von 25 auf neun reduziert. Zudem führte das Hare’sche Verfahren, ein neues mathematisches Modell zur Mandatsberechnung, zu einer gerechteren Verteilung der Sitze zugunsten kleinerer Parteien. „Diese Reform ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein technisches Detail – das mathematische Berechnungsverfahren – tiefgreifende politische Auswirkungen haben kann“, betont Praprotnik.
Das Ergebnis war eine Normalisierung der Parteienlandschaft, die in den 1980er- und 1990er-Jahren zu einer vielfältigeren politischen Landschaft führte. Österreich entwickelte sich von einem Zwei- bzw. Dreiparteiensystem hin zu einer Mehrparteienlandschaft. Heute sind fünf Parteien im Nationalrat vertreten.
1992: Einführung der regionalen Ebene
Eine weitere bedeutende Reform wurde 1992 mit der Einführung einer dritten Ebene im Wahlverfahren umgesetzt. Fortan konnten Wählerinnen und Wähler ihre Stimme nicht nur auf Bundes- und Landesebene abgeben, sondern auch auf regionaler Ebene. Dies sollte Politikerinnen und Politiker dazu motivieren, sich stärker in ihren Heimatregionen zu engagieren. 43 neue Regionalwahlkreise wurden eingerichtet, wobei ihre Zahl Mitte der 2000er-Jahre auf 39 reduziert wurde.
Darüber hinaus wurde das System der Vorzugsstimmen ausgebaut, um den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit zu geben, Kandidatinnen und Kandidaten direkt zu unterstützen. „Die Realität hat jedoch gezeigt, dass meist die Spitzenkandidaten der Parteien von diesem System profitieren“, räumt Praprotnik ein.
2007: Briefwahl und Wahlrecht für 16-Jährige
Die bislang letzte größere Reform erfolgte 2007. Die Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre und die Ausweitung der Briefwahl wurden als Maßnahmen zur Förderung einer stärkeren politischen Partizipation umgesetzt. „Besonders die Einbindung junger Menschen in den demokratischen Prozess ist von großer Bedeutung. Da sie sich meist noch im Schulsystem befinden, können sie dort begleitet und in ihrer neuen Verantwortung unterstützt werden“, erklärt Praprotnik.
Auch die Briefwahl, die zuvor nur in Ausnahmesituationen möglich war, wurde erweitert, sodass nun alle Wahlberechtigten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen können.
Diese Reformen sind prägend für die demokratische Entwicklung Österreichs und zeigen, wie das Wahlsystem kontinuierlich an die Bedürfnisse der Gesellschaft und die politischen Herausforderungen angepasst wurde.
Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦
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