DMZ – POLITIK ¦ David Aebischer ¦
Aktuelle Enthüllungen über mutmaßliche Unregelmäßigkeiten bei der Unterschriftensammlung für die Atom-Initiative «Blackout stoppen» haben in der Schweiz eine Welle von politischen Diskussionen ausgelöst.
Die Initiative zielt darauf ab, das Verbot für den Bau neuer Atomkraftwerke aufzuheben. Der Bundesrat ist bereits aktiv geworden und hat einen indirekten Gegenvorschlag erarbeitet, der genau dieses Ziel verfolgt – jedoch ohne eine Volksabstimmung anzustreben. Nun aber rücken neue Vorwürfe ins Zentrum der Aufmerksamkeit, die den demokratischen Prozess infrage stellen.
Vertrauen in den Initiativprozess erschüttert?
Eine Recherche des «Tages-Anzeigers» hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Unterschriftensammlung geweckt. Besonders in der Romandie, allen voran im Kanton Waadt, sollen Unregelmäßigkeiten aufgetreten sein. Firmen, die in die Sammlung involviert waren, stehen im Verdacht, Unterschriften gefälscht zu haben. Es läuft derzeit ein Strafverfahren, aber noch ist unklar, wie tief die Atom-Initiative darin verstrickt sein könnte.
Die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) hat sich die Unterschriftenzahlen genauer angesehen und auf mögliche Unstimmigkeiten hingewiesen. Von den 125'830 eingereichten Unterschriften stammen 35'164 aus dem Kanton Waadt – eine bemerkenswerte Zahl, wenn man bedenkt, dass eine Umfrage aus dem Jahr 2023 ergab, dass nur etwa 25 % der Romands das Neubauverbot von Atomkraftwerken ablehnen. Diese Diskrepanz wirkt für die SES verdächtig. Sie stützt sich dabei auch auf die Ergebnisse der Abstimmung zur Energiestrategie 2050 und bezeichnet die Unterschriftensammlung als „ungewöhnlich“.
Die Demokratie auf dem Prüfstand
Vor diesem Hintergrund fordert die SES einen sofortigen Stopp des Bundesratsprojekts. „Es ist demokratisch höchst bedenklich, den Prozess fortzusetzen, bevor nicht geklärt ist, ob die Atom-Initiative auf rechtskonforme Weise zustande gekommen ist“, so Nils Epprecht, Geschäftsleiter der SES. Die Stiftung plädiert dafür, den Gesetzesentwurf des Bundesrats auf Eis zu legen, bis alle juristischen Fragen rund um die Unterschriftensammlung geklärt sind.
Der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats birgt ebenfalls politischen Zündstoff. Er sieht vor, das Neubauverbot für Atomkraftwerke ohne erneute Volksabstimmung zu kippen, falls kein Referendum ergriffen wird – ein stark umstrittenes Vorgehen, besonders wenn man sich an das Abstimmungsergebnis zur Energiestrategie 2050 erinnert, bei dem die Bevölkerung klar den Ausstieg aus der Atomenergie wählte. Wir fordern einen sofortigen Marschhalt», äußert sich SES-Geschäftsleiter Nils Epprecht deutlich.
„Wir werden alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um die Bevölkerung und die politischen Entscheidungsträger auf die problematischen Aspekte dieses demokratischen Prozesses aufmerksam zu machen“
Nils Epprecht, SES-Geschäftsleiter
Fragen an den SES-Geschäftsleiter Nils Epprecht
Was genau erwarten Sie von einem "sofortigen Marschhalt"?
„Der Bundesrat erarbeitet derzeit als indirekter Gegenvorschlag zur Atom-Initiative den Gesetzesentwurf. Diesen gesetzgeberischen Prozess soll er stoppen, bis die juristischen Verfahren wegen
mutmaßlicher Unterschriftenfälschungen beim Sammeln für die Atom-Initiative abgeschlossen sind.“
Haben Sie bereits eine Reaktion des Bundesrats auf Ihre Forderung erhalten?
„Wir haben bis jetzt keine Reaktion erhalten, aber erwarten auch keine, die direkt an uns adressiert wäre.“
Welche weiteren Schritte plant die SES, um die Öffentlichkeit und politische Akteure für dieses Thema zu sensibilisieren? Erwägen Sie rechtliche Schritte oder andere Maßnahmen, um Ihre
Forderungen durchzusetzen?
„Als atomkritische Fachorganisation nutzen wir die Mittel der Öffentlichkeitsarbeit und stehen auch mit Partnerorganisationen und politischen Akteurinnen und Akteuren in Kontakt.“
Öffentlicher Druck wächst
Die SES will den Druck auf den Bundesrat und andere politische Akteure erhöhen. „Wir werden alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um die Bevölkerung und die politischen Entscheidungsträger auf die problematischen Aspekte dieses demokratischen Prozesses aufmerksam zu machen“, erklärt Epprecht mit Nachdruck. Der Bundesrat hat bisher keine öffentliche Stellungnahme zu den Vorwürfen abgegeben, und es ist auch nicht zu erwarten, dass eine offizielle Reaktion in nächster Zeit folgt.
Sollten sich die Vorwürfe bezüglich der Unterschriftensammlung als wahr erweisen, könnten die Auswirkungen weitreichend sein. Dies würde nicht nur das Vertrauen in den Initiativprozess erschüttern, sondern auch die Legitimität des geplanten Gesetzesentwurfs in Frage stellen.
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