DMZ – POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner
Wien (PK) - Das österreichische Wahlrecht ist das Fundament der demokratischen Mitbestimmung, doch es hat eine bewegte und teils widersprüchliche Geschichte. Über die Jahre hinweg hat es viele Änderungen erfahren, die nicht nur die Wähler direkt betreffen, sondern auch die Art und Weise, wie gewählt wird. Die neuesten Anpassungen, die 2023 beschlossen wurden, sind ein weiterer Schritt in der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Wahlrechts. Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie weitreichend und teils kurios die Regelungen einst waren.
Revolution und Einführung des Wahlrechts
Die Anfänge des Wahlrechts in Österreich gehen auf die Revolution von 1848 zurück, als Bürger, Studenten und Arbeiter eine Verfassung und eine gewählte Volksvertretung forderten. Damals herrschte Kaiser Franz Joseph I. absolut, und die Revolution führte zur erstmaligen indirekten Wahl eines Reichstags. Doch der Weg zur demokratischen Mitbestimmung war steinig: Frauen, Arbeiter und Dienstboten waren ausgeschlossen, und es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis das allgemeine Wahlrecht Einzug hielt.
Erst 1873, nach mehreren politischen Umwälzungen, durften die Abgeordneten des Reichstags direkt gewählt werden. Doch das Wahlrecht blieb weiterhin beschränkt: Es war an Besitz, Steuerleistung und bestimmte Berufsgruppen gekoppelt, und auch Frauen, die diesen Anforderungen entsprachen, durften faktisch nicht selbst wählen – ihre Stimme wurde oft von männlichen Verwandten abgegeben.
Vom Ausschluss zur Gleichstellung
Ein entscheidender Wendepunkt kam 1907 mit der Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Männerwahlrechts. Doch anstatt die wenigen wahlberechtigten Frauen gleichzustellen, wurden sie gänzlich von der Wahl ausgeschlossen. Erst elf Jahre später, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der Monarchie, erhielten Frauen 1918 endlich das verfassungsrechtlich verankerte Wahlrecht. 1919 war das Jahr der ersten Wahl, bei der Frauen ihre Stimme abgeben durften – jedoch nicht alle: Prostituierte blieben bis 1923 vom Wahlrecht ausgeschlossen.
Mit der Einführung des Frauenwahlrechts kamen weitere Anpassungen: Eine davon war die Wahlpflicht, die vor allem durch die Sorge der Christlichsozialen Partei eingeführt wurde. Diese fürchtete, dass katholische Frauen die Wahl meiden und somit den Sozialdemokraten einen Vorteil verschaffen könnten. Um das Wahlverhalten der Frauen besser kontrollieren zu können, wurden zeitweise sogar unterschiedlich farbige Stimmzettel oder separate Urnen für Männer und Frauen eingeführt.
Kuriose Regelungen: Vom Schankverbot bis zur Wahlpflicht
Ein Relikt aus früheren Zeiten ist das Alkoholverbot vor Wahlen. Um unbesonnene Entscheidungen zu verhindern, wurde bereits 1918 Wirten untersagt, am Wahltag "geistige Getränke" auszuschenken. Dieses Verbot wurde in der Zweiten Republik noch verschärft und galt von 20:00 Uhr am Vorabend bis zum Ende des Wahltages. Erst bei der Wahl 1969 wurde es gelockert, blieb jedoch bis 1979 in Kraft.
Die Wahlpflicht, die in den 1920er Jahren eingeführt wurde, war ebenfalls eine Reaktion auf das Frauenwahlrecht. Tirol und Vorarlberg führten diese 1919 als erste Bundesländer ein, gefolgt von der Steiermark 1949 und Kärnten 1986. Doch schon 1992 wurde die Wahlpflicht bei Nationalratswahlen für alle Bundesländer wieder abgeschafft.
Fazit
Die Geschichte des Wahlrechts in Österreich ist eine Geschichte von Ausschlüssen, Kämpfen um Gleichberechtigung und kontinuierlichen Reformen. Viele der früheren Regelungen erscheinen aus heutiger Sicht überholt oder sogar bizarr, doch sie sind ein Spiegelbild der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse ihrer Zeit. Die jüngsten Änderungen zeigen, dass das Wahlrecht auch weiterhin Gegenstand von Reformen bleibt – immer mit dem Ziel, die demokratische Teilhabe aller Bürger zu gewährleisten.
Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦
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