DMZ – POLITIK ¦ Dirk Specht ¦
KOMMENTAR
Zunächst aber ein lesenswerter Gastbeitrag von Prof. Spitz-Oener zur Entwicklung an den Arbeitsmärkten im Kontext Digitalisierung und KI. Ich sehe diese Entwicklung genauso, man kann das anhand der Daten auch gar nicht anders bewerten.
Die Trends sind bereits seit 30 Jahren erkennbar und vollkommen stabil. Das Thema berührt aber den Kern meiner gesamten beruflichen und fachlichen Tätigkeit, die Digitalisierung. Da ich auch sehr lange im Finanzbereich tätig war, beschäftigen mich dabei insbesondere die hier tangierten Interdependenzen dieser Fragestellungen. Ich verfolge dazu bereits lange einige Thesen, die ich als Erweiterung der Perspektive dieses Artikels kurz zusammenfasse.
These 1: Die Digitalisierung führt (global!!) zu immer weniger Arbeitsplätzen mit immer höheren Anforderungen. KI wird das nun massiv beschleunigen.
These 2: Das führt zu einer Spreizung in der Gesellschaft, denn bei weiter normalverteilten Fähigkeiten der Menschen wachsen die Anforderungen des Arbeitsmarkts aus der Mitte der Gesellschaft heraus.
These 3: Das führt auch zu einer Spreizung in der Ökonomie, denn unternehmerische Erfolge sind ebenfalls nicht mehr normalverteilt, sondern bündeln sich auf das Prinzip „the winner takes ist all“. [Anmerkung: Das kann man bei der Verteilung von Aktienkursindizes übrigens bereits nachweisen, weshalb, Service an der Stelle, die eigentlich sehr wertvolle Innovation der ETFs an Bedeutung verliert]
These 4: Das Bildungssystem ist die wichtigste Maßnahme, um dieser wachsenden Asymmetrie ein Gegengewicht zu geben, aber es ist keine Lösung, denn die Normalverteilung wird bleiben, man kann nur deren Mittelpunkt verschieben. Daher ist für eine funktionierende Ökonomie und letztlich auch Gesellschaft die globale Rekrutierung von Experten notwendig.
These 5: Global betrachtet ist dieser Wettbewerb zwar eine Teil-Lösung oder besser gesagt Entspannung für die erfolgreichen Nationen, aber keine für den Ausgleich zwischen allen Nationen. Denn die genannte Entwicklung kann global eben wegen dieser Asymmetrie nur mehr Verlierer als Gewinner erzeugen.
These 6: Das Ungleichgewicht von Gewinnern zu Verlierern wird in den Nationen/Gesellschaften ebenfalls bestehen, auch bei den Nationen, die insgesamt profitieren. Zudem: Es wird überall wachsen.
These 7: Wir haben keine ausreichenden Antworten, diese wachsenden Ungleichgewichte zwischen den Nationen global auszugleichen.
These 8: Wir haben keine ausreichenden Antworten, diese wachsenden Ungleichgewichte innerhalb unserer Nationen/Gesellschaften auszugleichen. Das gilt auch für die erfolgreichen Nationen.
These 9: Die oft genannte Einschätzung, diese Entwicklung sei eine Lösung für die Alterung unserer Industriegesellschaften, ist nur bedingt richtig. Rein organisatorisch stimmt diese Überlegung, aber sie hat zwei Lücken: Die Asymmetrie in der jüngeren Gesellschaft bleibt bestehen und der erforderliche gesellschaftliche Ausgleich wird durch die wachsende Asymmetrie zwischen den Altersgruppen eher noch schwieriger.
These 10: Politisch gibt es bisher keine strukturierten oder gar strategischen Antworten auf diese Herausforderungen, sondern im Gegenteil genau die Profiteure, die wir nicht brauchen. Fatalerweise erhalten exakt die politischen Strömungen mit dem geringsten bis gar keinem Lösungsangebot ausgerechnet von den Verlierern die größte Zustimmung.
Auf die Menschheit kommt nichts geringeres zu, als den „Faktor Arbeit“ als Grundpfeiler für die Gesellschaft insgesamt, den „Wert“ des Individuums und letztlich auch strukturell die Finanzierung der Staaten abzulösen. Interessanterweise arbeitet der Mensch mit Hochdruck an Technologien, die genau das erforderlich machen bzw. das Problem erst erzeugen, er hat ein ökonomisches System geschaffen, das genau diese Entwicklung in höchstem Maße belohnt, aber wie seine eigene Rolle, sein Miteinander, seine ökonomische und psychisch/mentale Existenz, seine Lebensform und Lebensführung, seine gesellschaftliche Organisation sowie deren Finanzierung sich als Folge dieser primären Bemühungen zu gestalten hat, das interessiert kaum jemanden.
Statt dessen werden Lösungsvorschläge wie ein Grundeinkommen, neue Formen der Steuersystematik, die bei den oben genannten Gewinnern unter den Unternehmen ansetzen oder gar grundsätzliche Konzepte, das Leben ohne Arbeit zu ermöglichen und ihm einen ganz neuen, vor allem anderen Wert zu geben, mit erschreckenderweise wachsendem Zuspruch von rechtspopulistischem Gedankengut zerrieben. Dieses stupide Gerede vom „Erfolgsprinzip“ muss dringend enden, denn es ist erkennbar voller Widersprüche. Nichts gegen „Erfolge“ als Motivation für Menschen und Belohnungen als deren „Treibstoff“, aber es kann nicht funktionieren, wenn Erfolge so definiert werden, dass sie in der Gesamtsystematik mehr Probleme als Lösungen erzeugen.
Die Kernfrage ist vollkommen simpel: Der Mensch muss sich strategisch entscheiden, ob er weiter Technologien entwickeln möchte, die sein Leben und seine eigene Rolle weitgehend verändern. Das kann man machen, dann muss man aber über die Folgen endlich nachdenken und diese Veränderung nicht nur erzeugen, sondern auch deren Ergebnis gestalten. Wenn der Mensch diese Folgen nicht will, müsste er es lassen, sie selbst zu erzeugen. Aber bekanntlich sind die vom Menschen erzeugten Probleme exakt diejenigen, die ihn überfordern. Das ist beim Klimawandel auch nicht anders.
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