DMZ – MEDIZIN ¦ Markus Golla ¦
Erstmals bestimmende Faktoren der sinkenden Impfbereitschaft auch bei bereits Geimpften untersucht
Angesichts der wachsenden Impfmüdigkeit und eventuell neu auftretender Virusvarianten stehen Gesundheitsverantwortliche vor der möglichen Herausforderung, wie sich relevante Zielgruppen zu regelmäßigen Auffrischungsimpfungen zum Schutz vor COVID-19 motivieren lassen. Vor diesem Hintergrund evaluierten Wissenschafter:innen der Medizinischen Universität Wien, der Universität Wien und der Universität Perugia in Italien in einer gemeinsamen Studie die bestimmenden Faktoren der sinkenden Impfbereitschaft auch bei bereits Geimpften. Die Ergebnisse verstehen sich als fundierte Empfehlungen für die Gestaltung langfristiger Strategien zur Corona-Bekämpfung und wurden im Top-Journal „Nature Medicine“ publiziert.
Um die Hintergründe der steigenden COVID-19-Impfmüdigkeit und mögliche Gegenmaßnahmen für die Zukunft zu erforschen, führte das Team um Tanja Stamm vom Institut für Outcomes Research der MedUni Wien bevölkerungsrepräsentative Umfragen in Österreich und Italien durch. Dabei wurden den insgesamt 6.357 Studienteilnehmer:innen unterschiedliche Zukunftsszenarien präsentiert, in denen Faktoren wie das Angebot neuer und adaptierter Impfstoffe, unterschiedliche Arten der Kommunikation, Kosten, positive Anreize (z. B. Prämie, Gutschein), das Auftreten von weiteren Virusvarianten sowie gesetzliche Regelungen (z. B. Impfpass, Impfpflicht) zufällig variiert wurden.
Impfstatus macht den Unterschied
Die Ergebnisse zeigen, dass die bestimmenden Faktoren der zukünftigen Impfbereitschaft nicht homogen ausfallen, sondern sich vor allem in Hinblick auf den aktuellen Impfstatus nach Subgruppen unterscheiden. Personen ohne Erstimpfung zeigten, so die Studie, wenig Vertrauen in politische und gesellschaftliche Institutionen und wiesen insgesamt die geringste Impfbereitschaft auf. Sie waren in so gut wie allen vorgelegten Szenarien nicht zur Impfung bereit; nur Botschaften, die die Pandemiebekämpfung als Gemeinschaftsaufgabe in den Vordergrund rückten, zeigten einen schwachen positiven Effekt auf ihre Impfbereitschaft. Personen, die bisher bereits mindestens eine oder zwei Impfdosen erhalten hatten, zeichneten sich durch eine sehr hohe Pandemiemüdigkeit aus und wiesen eine mittlere Bereitschaft für weitere Auffrischungsimpfungen auf. Sie konnten gemäß der Untersuchung vor allem durch positive Anreize (z.B. Prämie, Gutschein) deutlich häufiger für eine weitere Impfung gewonnen werden. Personen mit bereits drei oder mehr Impfungen zeigten sich am ehesten zu weiteren Boostern bereit. Für sie erwiesen sich das Angebot von angepassten Impfstoffen, der niederschwellige Zugang zur Impfung sowie der Konsens von Expert:innen über Impfempfehlungen als wichtigste Determinanten.
Positive Anreize für einzelne Zielgruppen
„Um eine hohe Immunität in der Bevölkerung auch in Zukunft aufrechterhalten zu können, ist es angesichts dieser Ergebnisse empfehlenswert, saisonal angepasste Impfstoffe bereitzustellen, den niederschwelligen Zugang zur Impfung aufrechtzuerhalten und den Konsens von Expert:innen zu berücksichtigen“, sagt Studienleiterin Tanja Stamm. Die wachsende Pandemie- und Impfmüdigkeit geht mit einer sinkenden Wirksamkeit einer Mobilisierung durch Kommunikationsmaßnahmen einher. An ihre Stelle könnten in Zukunft institutionelle Lösungen treten, die beispielsweise positive Anreize für relevante Zielgruppen setzen. Langfristig sollten außerdem Maßnahmen gesetzt werden, die das Vertrauen in Politik, Gesundheitswesen und Wissenschaft stärken. „Die Ergebnisse dieser Studie können darüber hinaus Entscheidungsträger:innen und Verantwortlichen bei künftigen Strategien zum Beispiel im Herbst als Orientierung dienen“, fasst Tanja Stamm zusammen.
Publikation: Nature Medicine
Determinants of COVID-19 vaccine fatigue
Tanja A. Stamm, Julia Partheymüller, Erika Mosor, Valentin Ritschl, Sylvia Kritzinger, Alessia Alunno, Jakob-Moritz Eberl
doi: 10.1038/s41591-023-02282-y
https://www.nature.com/articles/s41591-023-02282-y
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